NDvom01.12.05 unabhängige Saarrepublik
Erich Später ist Geschäftsführer der saarländischen Heinrich Böll Stiftung. Die Erinnerung an die unabhängige Saarrepublik wurde rechtlos getilgt 1.) Sie haben mit einem Artikel über die NS-Vergangenheit eines saarländischen Landespolitikers großen Wirbel ausgelöst. Um wen handelt es sch? E.S.: Es handelt sich um Heinrich Schneider. Über seine Biographie wurde im Saarland seit Jahrzehnten gestritten. Er war 1931 in die NSDAP eingetreten und maßgeblich an der Organisierung der Deutschen Front beteiligt. Das war ein Bündnis aus NSDAP und bürgerlichen Parteien, das 1935 in dem bis dahin dem Völkerbund unterstehenden Saarland für den Anschluss an Deutschland kämpften und mit einer riesigen Mehrheit gewann. 2.) War Schneiders Karriere nach 1945 zu Ende? E.S.: Im Gegenteil. Weil er in machtpolitischen Streitereien innerhalb der NSDAP zeitweise unterlegen war, gab er sich als Hitlergegner aus und wurde als Mitläufer eingestuft. Schon 1947 organisierte er den massenhaften Eintritt alter Nazikader in die Demokratische Partei Saar (DPS), die daher 1951 von der autonomen Saarrepublik verboten wurde. Erst kurz vor der Volksabstimmung über das Europäische Saarstatut am 23. Oktober 1955 wurde sie wieder zugelassen. Heinrich Schneider stand an der Spitze jenes saarländischen Heimatbundes, der 1955 mit nationalistischen Parolen für die Wiederangliederung an Deutschland kämpfte. Schneider warb dabei mit seiner NS-Vergangenheit und beschimpfte den Ministerpräsidenten der Saarrepublik Johannes Hoffmann, einen katholischen Antifaschisten, als Vaterlandsverräter und Separatist. Nach dem das Saarland wieder an Deutschland angegliedert war, wurde sofort jede Erinnerung an die unabhängige Saarrepublik restlos getilgt. 3.) Drängen sich da nicht Vergleiche mit der DDR 1989 auf? E.S.: Man kann die Angliederung des Saarlandes durchaus als die kleine Wiedervereinigung bezeichnen. Der Heimatbund stellte selbst den Vergleich mit der DDR selber her, als er den Ministerpräsidenten der autonomen Saarrepublik als Ulbrich des Saarlandes bezeichnete. Nach der Angliederung wurden sofort sämtliche Straßennamen im Saarland, die nach Antifaschisten und französischen Resistance-Kämpfern benannt waren, aus dem Straßenbild getilgt und teilweise durch preußische Militärs ersetzt. 4.) Warum ist der Streit um die Vergangenheit von Schneider gerade jetzt wieder aufgebrochen? E.S.: Dafür sind zwei historische Daten verantwortlich. Vor 50 Jahren fand die Volksabstimmung über das Saarstatut statt und die FDP feierte am letzten Wochenende den 50ten Jahrestag der Gründung ihrer saarländischen Vorläuferpartei DPS, die sich erst 1964 in die FDP integrierte. Dabei wurde Schneider von saarländischen FDP-Politikern ausdrücklich zum Traditionsbestand der Partei gezählt. 5.) Wie waren die Reaktionen auf die Veröffentlichung ? E.S.: Der Sohn von Heinrich Schneider, der Saarbrücker Rechtsanwalts Heinz Schneider wollte mit einer Einstweiligen Verfügung die Verbreitung meines Artikels im Stadtratsheft der Saarbrückener Grünen verhindern. Nach dem wir auf einer Pressekonferenz weitere Dokumente zu Schneiders Biographie vorgelegt haben, hat er einen Rückzieher gemacht und hat angekündigt, dass er den Artikel einen juristisch prüfen lassen will. Interview: Peter Nowak |