ND 11.05.05Zwangsbehandlung durch die Hintertür? Betroffenengruppen wehren sich gegen Bremer Gesetzesinitiative zu Psychiatriepatienten Von Peter Nowak Auf Bundesebene waren entsprechende Vorstöße bereits gescheitert: die zwangsweise Behandlung von psychisch Erkrankten. Bremen plant nun ein Gesetz im Alleingang. Gegen den Protest von Betroffenen. »Horror - Bremen plant die ambulante Folter«. Mit dieser Parole protestiert seit Anfang Mai jeden Nachmittag eine kleine Gruppe von Menschen vor dem Gebäude des Bundesrats in Berlin. Die Aktion ist Teil einer bundesweiten Kampagne von Patientengruppen und Betroffeneninitiativen gegen eine in weiten Kreisen der Öffentlichkeit kaum beachtete Gesetzesinitiative in Bremen. Sie trägt den sperrigen Titel »Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten und zur Änderung des Gesetzes über das Krebsregister«. Besonders der Paragraph22 ist Stein des Anstoßes. »Die Behandlung der Patientin oder des Patienten ist ohne ihre oder seine Einwilligung... bei gegenwärtiger Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Patientin oder des Patienten oder Dritter zulässig«, lautet der Text. Für viele Menschen scheint der Wortlaut unverfänglich. Geht es doch scheinbar nur darum, Gefährdungen auszuschließen. Das betonte auch die Bremer Gesundheitssenatorin Karin Röpke zur Begründung der Initiative. Eine Zwangsbehandlung psychisch Kranker sei nicht vorgesehen, so die Senatorin. Gerade in den vergangenen Monaten sorgten in Bremen zwei angeblich von psychisch Kranken verübte Tötungsdelikte für ein großes Presseecho. Seitdem legt die Polizei eine Datei über alle Personen an, die schon einmal mit der Psychiatrie zu tun hatten. Allerdings hatten Psychiater betont, dass auch mit noch so rigiden Gesetzesmaßnahmen solche Taten nie gänzlich zu verhindern seien. Zugleich stehen sich Persönlichkeitsrecht und Gefahrenabwehr scheinbar unversöhnlich gegenüber. Die Morde und die Pressereaktionen haben den Schwerpunkt der Debatte auf den Sicherheitsaspekt gelenkt. Und wie bei anderen innenpolitischen Themen werden dabei die Freiheitsrechte schnell vernachlässigt. Für viele Menschen mit Psychiatrieerfahrungen hat der Gesetzestext daher einen beunruhigenden Klang. »Im Rahmen der Auflagen zur ambulanten Behandlung ist es nach dem Bremer Gesetzentwurf möglich, die Betroffenen ohne deren Einwilligung, das heißt mit Zwang zu behandeln, zu ernähren, Wertsachen der Betroffenen in Gewahrsam zu nehmen, den Schrift- und sonstigen Postverkehr zu überwachen, ja sogar den Telefonverkehr zu überwachen und zu beschränken«, so Hannelore Klafki vom geschäftsführenden Vorstand Bremer Psychiatrieerfahrener. Rene Talbot vom Landesverband der Psychiatrieerfahrenen Berlin-Brandenburg verweist darauf, dass erst im letzten Jahr ein Vorstoß zur Einführung ambulanter Zwangsbehandlung auf Bundesebene nach Protesten gescheitert war. »Alle im Bundestag vertretenen Parteien lehnten diese Bestrebungen am 4.März 2004 ab, nachdem ein Rechtsgutachten die verfassungsrechtliche Unhaltbarkeit dieser Bestrebungen nachgewiesen hatte.« Jetzt befürchten die Betroffenengruppen, dass die bundesweit gescheiterte Einführung der Zwangsbehandlung durch die Hintertür über die Länder doch noch Realität werden könnte. Talbot zufolge könnte Bremen gar ein Pilotprojekt sein. »Wenn es dort klappt, ziehen andere Bundesländer nach.« Diese Sorge wird auch vom Kriminalpolitischen Arbeitskreis Bremen (Kripak) geteilt, in dem sich vor allem Juristen zusammengeschlossen haben. In einem Schreiben an alle Bremer Parlamentsfraktionen wird ausdrücklich begrüßt, dass in der Gesetzesinitiative die Zwangsbehandlung abgelehnt wird. Gleichzeitig wird aber kritisiert, dass der Wortlaut des Gesetzestextes ambulante Zwangsbehandlungen weiterhin möglich macht. »Wir möchten nicht einfach unterstellen, dass der Widerspruch zwischen Wortlaut und Begründung im Gesetzentwurf bewusst erfolgt ist und die Öffentlichkeit gezielt irregeführt werden soll. Wenn es sich jedoch um ein Redaktionsversehen handelt, muss der Gesetzentwurf dringend nachgebessert werden«, appelliert der Kripak an die Parteien. Dafür bleibt nur wenig Zeit. Nach der aktuellen Planung soll der Bremer Senat das Gesetz am 25.Mai verabschieden. |