Linkszeitung vom 3.11.05Streit um Sternmarsch gegen Hartz IV am Samstag Die Wut reicht aus um auf die Straße zu gehen Von Peter Nowak Die Mitglieder der Koordinierungsgruppe sind optimistisch: Für den "Sternmarsch gegen Hartz IV und die neue Regierung", der am kommenden Samstag in der Hauptstadt stattfinden soll, zeichne sich schon jetzt ab, dass diese Demonstration zu einem nicht zu übersehenden Signal des Widerstandes gegen die neoliberale Politik der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD werde, so die von Fred Schirrmacher heute in Berlin vor der Presse geäußerte Überzeugung der Organisatoren. Der Sternmarsch sei längst nicht mehr nur eine Demonstration gegen Hartz IV. Es gebe ein breites Spektrum von Rednern und Kulturgruppen, das die Aktion unterstütze. So werde in Großbetrieben wie Daimler, Siemens, Infinion und Opel mobilisiert. Aber auch aus der Umwelt- und Frauenbewegung sei Unterstützung zugesagt worden. Allerdings wurde auch ein fast durchgängiges Ignorieren der Aktion durch die überregionale Presse beklagt. Auch ist das Demobündnis längst nicht so breit, wie die Organisatoren des Sternmarsches gehofft hatten, die Anfang der Woche persönlich an den Bundesvorstand der Linkspartei/PDS und der WASG herangetreten sind, um diese für eine Unterstützung der Demonstration zu gewinnen. Bisher haben vor allem Parteifunktionäre unterer Ebenen und nur ein Landtagsabgeordneter aus Brandenburg, aber keine Bundestagsabgeordneten den Aufruf unterstützt. Diese Zurückhaltung liegt an einem länger andauernden Konflikt innerhalb der Bewegung der Montagsdemonstranten, von der auch diese Aktion organisiert wurde. Pfisterer spricht von Differenzen über politische Ansichten. Streitpunkt ist einerseits die Rolle der Marxistisch-leninistischen Partei Deutschland (MLPD). Kritiker fürchten, dass die Aktion durch diese Partei gesteuert werden könnte, während die Organisatoren die Überparteilichkeit hervorheben. Schon im vergangenen Herbst gab es über die Frage des Umgangs mit der MLPD Streit, was in Berlin zur Spaltung der Montagsdemonstrations-Bewegung führte. Aber es geht bei dem Dissens auch um inhaltliche Fragen. So lehnen viele Erwerbslosengruppen die Parole "Das Volk sind wir", die auch beim Sternmarsch eine wichtige Rolle spielt, als unemanzipatorischen Rückgriff auf einen veralteten Volksbegriff ab. Den Sternmarsch-Organisatoren wurde auch vorgeworfen, dass sie mit der Aktion vorgeprescht seien, während andere Gruppen erst in zwei Wochen auf einem beim Erfurter Sozialforum vereinbarten Ratschlag in Frankfurt/Main die weitere Protestagenda festlegen wollen. Dort wollen viele Initiativen den Ratschlag des Berliner Politologieprofessors Peter Grottian aufnehmen und statt Großdemonstrationen dezentrale Widerstandsaktionen planen. So soll Widerstand gegen Zwangsräumungen von Hartz-IV-Empfängern aus zu teuren Wohnungen vorbereitet werden. Wenn trotz dieser unterschiedlichen Ansätze am Samstag viele Menschen auf die Straße gehen sollten, dann wäre es der Wut über die Ignoranz geschuldet, mit der Politiker der großen Parteien die Proteste vom vergangenen Jahr aussitzen wollen. An Stelle der unzumutbaren Lebensbedingungen unter Hartz IV, bestimmt angeblicher Missbrauch die öffentliche Diskussion und die Meinungsbildung. Noch-Wirtschaftsminister Clement hat Erwerbslose in seinem Papier "Vorrang für Anständige" in die Nähe von Schmarotzern gerückt. "Da gibt es genügend Wut, um auf die Straße zu gehen"; brachte es ein Aktivist aus Nordrhein-Westfalen auf den Punkt. |