ND 06.10.05 Keine Arznei wider Willen Oberlandesgericht Celle urteilt gegen Zwangsbehandlung in Psychiatrie Von Peter Nowak Ein Urteil des Oberlandesgerichts Celle erklärt die Zwangsbehandlung von Psychiatriepatienten mit Medikamenten für rechtswidrig. Lange Zeit galten psychiatrische Kliniken als Orte, an denen die Grundrechte zumindest teilweise außer Kraft gesetzt sind. An die Insassen konnten auch gegen deren Willen Medikamente verabreicht werden, wenn dies Ärzte für notwendig erachteten. Einige Betroffene sprechen von Zwangsbehandlung und wehren sich seit Jahren dagegen. Jetzt haben sie Rückendeckung von der Justiz bekommen. Das Oberlandesgericht Celle stellte in einem Urteil fest, dass eine Zwangsbehandlung »rechtlich nicht zulässig und daher nicht genehmigungsfähig« sei. Damit gab es der Klage eines in einem Landeskrankenhaus stationär behandelten Psychiatriepatienten statt, der auf der Grundlage einer Patientenverfügung die Behandlung mit Medikamenten ablehnte. Trotzdem beantragte sein Betreuer die Verabreichung eines Neuroleptikums, da es aus ärztlicher Sicht dringend geboten sei. Obwohl der Patient in einer gerichtlichen Anhörung ausdrücklich bei der Ablehnung blieb, genehmigte das Amtsgericht im März 2005 die Verabreichung des Medikaments. Es verwies dabei auf das ärztliche Statement, dem zufolge sich die gesundheitliche Situation des Betroffenen sonst verschlechtere. Dagegen hatte der Patient in seiner Beschwerde geltend gemacht, dass die Patientenverfügung ignoriert werde und es für die Zwangsbehandlung keine Rechtsgrundlage gebe. »Schon der technische Ablauf einer medikamentösen Zwangsbehandlung macht überdeutlich, dass diese mit erheblichen Grundrechtseingriffen verbunden ist«, heißt es in der jetzigen Urteilsbegründung. Das Verfahren wurde an das Landgericht Hannover zurück verwiesen. Von einem »fantastischen Sieg der Grundrechte und einer sehr schweren Niederlage des psychiatrischen Zwangssystems«, spricht die Bundesarbeitsgemeinschaft der Psychiatrieerfahrenen. Auch der Ettlinger Rechtsanwalt Thomas Saschenbrecker hält das Urteil aus Celle für wegweisend. »Zum einen wird eine zwangsweise Behandlung mit Neuroleptika und anderen Medikamenten im Rahmen einer stationären Unterbringung ausgeschlossen, wenn der erklärte Wille des Betroffenen dem entgegensteht. Zum anderen wird die Privatautonomie eines Betroffenen erheblich gestärkt.« Das Urteil wird nach Meinung von Saschenbrecker Folgen haben: In Zukunft müssten sich auch behandelnde Ärzte in psychiatrischen Anstalten genau damit auseinander setzen, was der auf Grund eines Gerichtsbeschlusses untergebrachte Patient wünscht und was er ablehnt. Eine Behandlung ohne Zustimmung bzw. gegen den erklärten Willen von Betroffenen dürfte mit diesem Urteil künftig ausgeschlossen sein. Kritische Stimmen warnen indes vor einer ganz anderen Gefahr. Im Zeitalter des Neoliberalismus könnte aus dem Recht des Patienten, eine Therapie zu verweigern, schnell die Pflicht werden, sich um sein körperliches und geistliches Wohlbefinden selbst zu sorgen. |