Blick nach Rechts25-26/2005Alltäglicher Straßenterror In Russland eskalieren die rechtsextremen Gewalttätigkeiten - immer wieder werden Menschen ermordet oder brutal zusammengeschlagen. Die Mörder kamen in den Abendstunden. Mitten im Zentrum von St. Petersburg, in der Nähe des Newa Prospekts, wurde am 13. November dieses Jahres gegen 18.30 Uhr der 20-jährige Punkmusiker und Philosophiestudent Timur Katscharawa von Neonazis mit Messern angegriffen. Durch seine schwere Halsverletzung und starken Blutverluste starb Katscharawa noch am Tatort. Sein Freund Maxim Zgibai wurde bei dem Überfall schwer verletzt und liegt noch im Krankenhaus. Die beiden Antifaschisten hatten mit anderen zuvor an einer wöchentlich stattfindenden "Food-Not-Bombs"-Aktion im Stadtzentrum teilgenommen. Dort wurden sie von rund zehn jugendlichen Neonazis angepöbelt, verfolgt und dann mit Messern angegriffen. Die Bluttat hat in Russland für großes Aufsehen gesorgt. In den Medien wurde erstmals über den zunehmenden rechten Terror ausführlich berichtet. Auch im Ausland wurde die Gewalttat mit Besorgnis registriert. Schließlich war Timur Katscharawa auch schon in mehreren Ländern auf Tournee, unter anderen in Skandinavien und im letzten Jahr auch in Deutschland. Dabei sind die rechten Übergriffe in Russland keine Seltenheit. Betroffen sind neben Linken und Juden vor allem ausländische Studenten. Erst vor wenigen Wochen, am 9. Oktober abends, wurde der 18-jährige peruanische Medizinstudent Urtado Enrique Angeles in der zentralrussischen Stadt Woronesch mit drei weiteren Kommilitonen von Neonazis angegriffen. Angeles erlag den tödlichen Messerstichen, seine Kommilionen überlebten mit schweren Verletzungen. Enrique Angeles hatte vor, Russland wegen der ständigen rechtsextremen Angriffe wieder zu verfassen. Die peruanische Botschaft warnt ihre Bürger mittlerweile vor einem Studium in Woronesch. Die Stadt hat in den letzten Jahren den zweifelhaften Ruf erworben, eine der russischen Hochburgen der Neonazis zu sein. In der zentralrussischen Industriestadt wurden in den letzten Jahren sieben Gaststudenten von Rechtsextremisten ermordet. Auch St. Petersburg zählt zu den rechten Hochburgen. Am 15. September dieses Jahres wurde bei einem Überfall ein Student aus dem Kongo ermordet, am 13. Oktober 2004 ein vietnamesischer Student und am 19. Juni 2004 ein Menschenrechtsaktivist erschossen. Am 9. Februar wurde eine Gruppe von Kasachinnen mit ihren Kindern angegriffen, ein neunjähriges Mädchen starb. Immer wieder kommt zu rechtsextremen Übergriffen. Nach Angaben von Sicherheitsexperten rechnen sich in St. Petersburg rund 15 000 Personen der Skinheadszene zu. Im März 2005 wurde ein chinesischer Student auf dem Newski Prospekt zusammengeschlagen und schwer verletzt. Neben dem Straßenterror gibt es Anzeichen, dass sich die Rechtsextremisten auch zu Terrorgruppen zusammenschließen. Die russischen Sicherheitsbehörden haben im Juli zwei Mitglieder einer Neonazi-Organisation verhaftet, die Mitte Juni einen Terroranschlag auf den Schlafwagenzug Grosny-Moskau verübt haben sollen. Die Polizei hatte nach Medienberichten in den Wohnungen der Aktivisten der "Russischen Nationalen Einheit" Sprengstoffreste und Naziliteratur gefunden. Auch auf der politischen Arena machen sich die Rechtextremisten in Russland verstärkt bemerkbar. In Moskau wurde am 4. November das erste Mal der Tag der nationalen Einheit "begangen". Die radikale Rechte nutzte den neu eingeführten Tag für einen Aufmarsch. Etwa 3 000 Rechtsextremisten demonstrierten unter der Losung "Russland den Russen". Daran haben sich Organisationen wie der Eurasische Jugendverband, die Bewegung gegen illegale Immigration, der Slawische Verband und die nationalpatriotische Front "Pamjat" beteiligt. Demokratische Kräfte sehen eine große Gefahr, dass das Gedenkgut der Rechtsextremisten in Russland auch in breiteren Bevölkerungskreisen auf Zustimmung stößt. Losungen wie "Russland den Russen" unterstützen Umfragen zufolge bereits über 53 Prozent der Befragten. Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit, so der Direktor des Zentrums für ethnologische Studien Emil Pain, würden vor allem bei den unter 30-Jährigen zunehmend populär, die sich von den politischen Entwicklungen in Russland enttäuscht zeigten. Peter Nowak |