ND vom 3.8.05Mehr als nur »neue Wut«? Martin Keßler über seinen Film, Anti-Hartz-Proteste und Linkspartei Der Filmemacher hat in Marburg und Berlin studiert. Kürzlich hatte sein Film »Die Neue Wut« Premiere. ND: Sie haben einen Film über die Montags-Proteste gegen Hartz IV gemacht,die schon eine Weile zurückliegen. Ist »Neue Wut« weiter aktuell? Keßler: Die Montagsdemonstrationen haben zwar vor fast einem Jahr begonnen. Aber sie sind Ausdruck eines viel breiteren Protestes. Schon im Jahr 2003 gingen Menschen gegen den Sozialabbau auf die Straße. Hinzu kamen die Studentenproteste und Konflikte in der Arbeitswelt. Ich denke da an die Proteste bei Karstadt, Volkswagen oder Opel, die zum Teil auch im Film gezeigt werden. Die Menschen gehen zwar aus unterschiedlichen Anlässen auf die Straße. Doch die Proteste haben eine Gemeinsamkeit: das Misstrauen und die Wut vieler Menschen auf die etablierte Politik. Das wird im Film zum Beispiel in der Szene deutlich, in der Opel-Arbeiter die Landtagswahl von Nordrhein-Westfalen im Mai in einer Eckkneipe verfolgen. Der Film zeigt auch Gregor Gysi und Oskar Lafontaine auf den Montagsdemonstrationen. Gibt es eine Verbindung zwischen der Neuformierung einer politischen Linken aus Wahlalternative und PDS und den Protesten vor einem Jahr? »Neue Wut« erzählt die Vorgeschichte der vorgezogenen Bundestagswahlen und dazu gehört auch der Entstehungsprozess der Linkspartei. Lafontaine hat bei seinen Auftritten auf den Montagsdemonstrationen getestet, wie er bei den Leuten ankommt. Schon damals gab es erste Meldungen, dass eine neue Linkspartei geplant werde. Auch die Namen Lafontaine und Gysi wurden schon genannt. Ich denke, es gibt einen Zusammenhang zwischen den Protesten gegen Agenda 2010 und Hartz IV und dem Entstehen der Linkspartei. Protestieren ist das eine, alternative Politikkonzepte sind etwas anderes, sind ein nächster Schritt. Zeigt der Film auch mehr, als nur die »neue Wut«? Im Film werden durchaus Alternativkonzepte zu Hartz IV und der dahinter stehenden Wirtschaftspolitik benannt. Zum Beispiel vom Wirtschaftswissenschaftler Prof. Friedhelm Hengsbach oder von Pedram Shahyar vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac. Im Film wird aber auch deutlich, dass die Menschen in erster Linie ihre Wut gegenüber der etablierten Politik und ihren Konzepten auf die Straße tragen. Auch der Richtungsstreit innerhalb der Gewerkschaften über die richtige Strategie gegenüber Hartz IV wird gezeigt. Und dass die meisten Demonstranten im letzten Jahr noch viel zu stark mit der Abwehr der Arbeitsmarktreformen beschäftigt waren, statt mit alternativen Konzepten. Spätestens jetzt im Wahlkampf wird diese Debatte stärker geführt werden. Wie waren die bisherigen Reaktionen auf den Film? Sehr unterschiedlich. Beim Sozialforum in Erfurt gab es sehr positive Reaktionen von Betroffenen. Bei der Premiere in Frankfurt (Main) äußerten viele Zuschauer ihr Erstaunen über das Ausmaß der Proteste und die Zusammenhänge zwischen Hartz IV und zum Beispiel dem Arbeitskampf bei Opel. Da hat der Film neue Anstöße gegeben. Natürlich will »neue Wut« ein breites Publikum erreichen. Daher hoffe ich, dass er auch im Fernsehen gezeigt wird, wie alle meine bisherigen Filme. Gibt es schon konkrete Vereinbarungen? Es gibt Interesse bei einigen Fernsehredakteuren, aber noch keinen konkreten Sendetermin. In der Öffentlichkeit wird der Film bereits breit diskutiert. In vielen Städten organisieren Gewerkschafts-, Kirchen-, Erwerbslosen- oder Attac-Gruppen Vorführungen. Auch in Kinos wird »neue Wut« gezeigt. Allein bei der Premiere kamen 500 Besucher. Fragen: Peter Nowak |