Linkszeitung 18.9.05Ein politischer Prozess vor dem EU-Beitritt der Türkei Im Käfig der italienischen Justiz Von unserem Korrespondenten Peter Nowak, Peruguia "Wer etwas über die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei lernen will, sollte einen Prozess gegen türkische Linke im italienischen Perugia besuchen," so ein Mitarbeiter der Gefangenenhilfsorganisation Tayad. Die Altstadt von Perugia ist alljährlich das Ziel vieler Touristen aus aller Welt. Doch mitten in diesem Touristenviertel befindet sich auch das Gericht. "Tribunale" steht groß am Eingang. Wer es betreten will, braucht viel Zeit und Geduld. Die Namen aller Eintretenden samt Adresse und Geburtsdatum werden sorgsam aufgeschrieben. Dann werden alle Gegenstände, die man mitnimmt durchleuchtet. Wenige Minuten später werden noch einmal die Personalien aufgenommen. Zunächst wollte die Polizei die Daten, jetzt die Carabinieri. Die haben eine eigene Hierarchie und arbeiten in der Regel gegen- statt miteinander. So kommt es auch, dass man die Personalien eben gleich zweimal aufnehmen lassen muss, zumindest, wenn man einen politischen Prozess besuchen will. Am Samstag ging es um ein solch hochpolitisches Verfahren. Zwei türkische Linke sind der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation angeklagt. Obwohl sie völlig legal in Italien gearbeitet haben, werden sie beschuldigt, die DHKP/C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei/Front) unterstützt zu haben Seit dem 1.April 2004 sind die beiden schon in Untersuchungshaft. Sie wurden als Teil einer großen Polizeioperation verhaftet, bei der in der Türkei, in Holland und in Italien insgesamt fast 60 Menschen festgenommen worden sind. Betroffen waren Strukturen der DHKP/C und ihres vermeintlichen Umfelds. Dazu zählen für die türkischen und europäischen Behörden sowohl legale Menschenrechtsvereine, linke Zeitungen und Rechtsanwaltsbüros. Alle diese Einrichtungen waren am 1.April 2004 Ziel der Polizeioperation sowohl in der Türkei als auch in Italien und den Niederlanden. Auch in Deutschland gab es Hausdurchsuchungen, aber keine Festnahmen. Die DHKP/C ist eine linke Organisation, die vor allem in den Elendsvierteln türkischer Metropolen einen gewissen Einfluss hat und sich auf Che Guevara und Lenin beruft. Die in Deutschland und der Türkei verbotene Organisation gerät zunehmend ins Blickfeld internationaler Polzeiorgane. "Bei diesen grenzübergreifenden Razzien lief die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden der EU-Staaten und der Türkei immer reibungslos. Mag es auf anderen Gebieten noch Vorbehalte geben, die Türkei in die EU aufzunehmen, auf dem Gebiet der Sicherheitszusammenarbeit gibt es diese Vorbehalte jedenfalls in der Praxis nicht", so ein Tayad-Mitarbeiter. Das wurde am vergangenen Samstag beim Prozess in Perugia auch wieder deutlich, als ein hoher Beamter der Carabiniere als Zeuge befragt wurde. Er erwies sich als grosser Verteidiger der türkisch-italienischen Sicherheitspartnerschaft. Nachfragen der Anwälte der Angeklagten zur Situation der Menschenrechte in der Türkei wehrte er ab. Das sei Politik und gehöre hier nicht hin, meinte er kurz. Ansonsten hat er sich alle Wertungen des türkischen Regimes gegenüber linken Oppositionellen zu eigen gemacht Für ihn handelt sich sowohl bei der DHKP/C als auch bei der DHKC um terroristische Organisationen und die Gefangenenhilfsorganisation Tayad gehört für ihn zu diesem Umfeld. Der nächste Prozesstermin ist am 1.Oktober. Beginn ist wieder 9 Uhr vor Gericht in Perugia. Dann soll der Sicherheitschef in Istanbul als Zeuge vor Gericht aussagen. "Der kann in Italien sicher etwas lernen, beispielsweise wie man Untersuchungshäftlinge, die eigentlich noch als unschuldig zu gelten haben,behandelt", meinte eine italienische Juristin bitter. Tatsächlich mussten die beiden jungen Angeklagten den Prozess in einem kleinen Eisenkäfig verfolgen. Wenn die Rechtsanwälte etwas mit ihren Mandanten zu besprechen hatten, mussten sie aufstehen und am Gitter reden. So ist die Vertraulichkeit zwischen Anwalt und Mandanten bestimmt nicht gewahrt, meinen die Juristen. Doch in Italien ist das eine bei Prozessen gegen politische Aktivisten aber auch bei den Mafiaverfahren seit Jahren gängige Praxis. |