Telepolis vom 6.12.05Reibungslose Visite im alten Europa Peter Nowak Der Besuch von Condoleezza Rice in Berlin hat gezeigt, dass weder die neue noch die alte Bundesregierung als moralischer Ankläger taugt Tausende demonstrieren in Berlin gegen den Besuch des US-Außenministers und halten die Polizei, die mit Wasserwerfern und Räumpanzern aufgefahren ist, in Atem. Solche Bilder sind fast 25 Jahre alt und der Außenminister hieß damals noch Alexander Haig (1). Er galt in der Hochphase der Auseinandersetzung um die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen als großer Buhmann in Deutschland. Seine Amtsnachfolgerin Condoleezza Rice löst schon sehr viel weniger Furore aus. Von größeren Protesten anlässlich ihres Besuches ist nichts bekannt. Dabei fiel er in eine Zeit, in der die Kritik an den USA im Zusammenhang mit angeblichen Geheimgefängnissen in Europa und mehr noch den CIA-Flügen über Europa fast schon Ausmaße wie vor dem Irakkrieg angenommen hatte ( CIA-Lager in Osteuropa wurden angeblich in aller Eile letzten Monat geräumt (2)). Dass Rice nicht nur auf der Straße, sondern auch auf dem politischen Parkett trotzdem nur mit moderater Kritik rechnen konnte, hat mehrere Gründe. Das Hauptmotiv ist offensichtlich. Anders als manche Pressemeldungen der letzten Woche in deutschen Medien suggerieren, kann die deutsche Politik bei diesem Thema nicht einfach mit anklagenden Fingern auf die US-Regierung zeigen. Da weisen immer auch mindestens vier Finger in die eigene Richtung. So war es sicher kein Zufall, dass unmittelbar vor dem Eintreffen von Rice gemeldet wurde, führende Mitglieder der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung seien über den Fall al-Masri zumindest im Nachhinein unterrichtet gewesen und hätten auf Druck der US-Regierung Stillschweigen gewahrt. Der deutsche Staatsbürger war nach Afghanistan verschleppt, dort gefoltert und nach Monaten wieder freigelassen worden, da ihm. Nachdem schon vor Tagen gemeldet wurde, dass der damalige Innenminister Schily darüber informier war, hieß es schließlich, auch das Kanzler- und Außenamt seien eingeweiht gewesen. Damit war eben nicht nur ein Politiker im Ruhestand wie Schily betroffen, sondern mit dem ehemaligen Chef im Kanzleramt Frank Steinmeier auch der heutige Außenminister. Natürlich stellt sich auch schnell die Frage, was Schröder und Fischer wussten. Denn niemand hält für möglich, dass ausgerechnet in einer solch gravierenden Frage die Spitzen von Regierung und Außenamt nicht unterrichten waren. Die Folgen dieser Verwicklungen sind günstig für Merkel und auch für Rice. Denn wie glaubwürdig sind die vehementen Verfechter eines deutschen Wegs im Irakkrieg, die Merkel immer ihre Nähe zum US-Präsidenten vorgehalten haben, wenn sie sogar illegale CIA-Aktionen zumindest gedeckt haben? So sind die Unionspolitiker in die komfortable Lage gekommen, von der alten Bundesregierung Aufklärung zu verlangen, ob sie durch die Duldung dieser Verschleppung gegen bestehendes Recht verstoßen hat. Im Fall von Khaled al-Masri soll Außenminister Steinmeier dem parlamentarischen Kontrollausschuss ausdrücklich im Auftrag der alten Bundesregierung Bericht erstatten. So dürfte auch weiterhin die Frage nach Steinmeiers und Schröders Rolle nicht verstummen. Bei den Grünen dürfte zumindest der kleine linke Flügel auch nach der Verantwortung von Fischer fragen. Da bedarf es also in erster Linie Aufklärung in den eigenen Reihen, aber als große Aufklärer in Richtung USA fallen neben den Sozialdemokraten auch die Grünen in dieser Lage aus. Auch der Linkspartei-Spitzenpolitiker Lafontaine hat im Fall des Frankfurter Vize-Polizeipräsidenten Daschner Verständnis gezeigt, wenn ein überführter Kindesentführer durch die Androhung oder die Anwendung von Folter zur Preisgabe des Verstecks seines Opfers gezwungen wird. Kritiker warfen (3) ihm die Aufweichung des Folterverbots vor. Es gehe hier um die Rettung des Lebens von Unschuldigen, verteidigte sich Lafontaine. Streit über die Folter-Definition Auch Rice hat die Entführung. den Transfer und die Inhaftierung von Terrorverdächtigten damit begründet, dass dadurch Menschenleben in den USA und Europa gerettet werden konnten. Lediglich im Falle von Khaled al Masri räumte sie Fehler ein. Die US-Politikerin erinnerte daran, dass eine solche Praxis auch in europäischen Ländern üblich ist. So habe Frankreich den unter den Tarnnamen Carlos bekannten Venezolaner Ilich Ramírez Sánchez mit Hilfe der sudanesischen Regierung nach Frankreich verschleppt, wo ihm dann der Prozess gemacht wurde. Menschenrechtlern sind weitere Fälle bekannt, wo die Behandlung von vermeintlichen oder tatsächlichen Mitgliedern bewaffnet kämpfender Gruppierungen wie der baskischen ETA oder der IRA aus Nordirland durchaus nicht immer mit den Grundsätzen der Menschenrechte vereinbar war. Auch die Inhaftierung des Vorsitzenden der kurdischen Arbeiterpartei Abdullah Öcalan wurde von manchen Kritikern als Verschleppung bezeichnet. Wie jetzt Rice haben auch in Europa haben die zuständigen Stellen immer wieder betont, dass sie nicht foltern. Nur über die Definition gehen die Meinungen schon auseinander. So haben US-Rechtswissenschaftler in Gutachten den Folterbegriff neu definiert. Danach würden bei der CIA angewandte Verhörmethoden wie das Scheinertränken oder das Halten der Gefangenen in kalten Räumen nicht unter Folter fallen ( Die genehmigten harten Verhörtechniken der CIA (4); "Dieser Geheimdienst foltert nicht" (5)). Dass die beteiligten Politiker den Stellenwert der Debatte nicht besonders hoch einschätzen, zeigt die Versicherung von Merkel und Rice, man habe eine gute Grundlage für den gemeinsamen Kampf gegen den Terror gefunden. Im Fall der im Irak entführten deutschen Archäologin Susanne Osthoff wolle man eng kooperieren. So wurde an diesen aktuellen Fall herausgestellt, dass der Kampf gegen den Terror im Mittelpunkt steht. Die nächste Station auf ihrer Europa-Tour führt Rice nach Rumänien. Dort will die Regierung trotz neuer Berichte über frisch aufgelöste geheime Gefängnisse in erster Linie die gute rumänisch-amerikanische Zusammenarbeit bekräftigen. Rice dürfte im "neuen Europa" nichts anderes erwartet haben. Dass ihre Visite in Berlin, das von der Bush-Regierung mit zum Zentrum des "alten Europa" gezählt wurde, so reibungslos über die Bühne gegangen ist, dürfe vielleicht sogar in Washington manche in Erstauen versetzt haben.
LINKS
(1) http://www.answers.com/topic/alexander-haig (2) http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21507/1.html (3) http://www.libertad.de/inhalt/archiv/libertad/2004/11/EEpplluluuHduhrLkx .shtml (4) http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21393/1.html (5) http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21409/1.html |