Linkszeitung 3.9.05Bis zu 45.000 Familien sind betroffen Berliner Hartz-IV-Regelungen schützen nicht vor massenhaften Zwangsumzügen Das Interview führte Peter Nowak Eine von Topos-Stadtforschung betreute Studie über mögliche Zwangsumzüge von Hartz-IV-Empfängern sorgt in Berlin für Diskussionen. Das Institut kommt zu dem Ergebnis, dass 35.000 bis 45.000 Familien von Arbeitslosen in Berlin ihre Wohnungen wechseln müssen, weil ihre Mieten nach den Hartz-IV-Bestimmungen zu hoch sind. Die LinksZeitung sprach mit Sigmar Gude, Geschäftsführer der Topos-Stadtforschung. LinksZeitung: Hatten Sie dabei die vom Senat beschlossenen Ausnahmeregelungen berücksichtigt? Sigmar Gude: Wir haben diese Ausnahmeregelungen in einem zweiten Durchgang einbezogen. Die betreffen vor allem Familien mit Kindern, für die eine Überschreitung der Richtwerte für die geförderten Mieten um 10% möglich ist. Lediglich über den Anteil der behinderten Menschen, die ebenfalls unter diese Ausnahmen fallen, haben wir kein Material. An den Zahlen der Betroffenen hat die Einbeziehung dieser Regelungen nichts geändert. Die 50.000 bis 70.000 Haushalte, deren Mieten über den Hartz-Richtwerten liegen, werden in ein bürokratisches Verfahren der Überprüfung einbezogen. Bei ca. einem Drittel der Betroffenen wird durch die Ausnahmeregelungen die Miete vollständig übernommen, so dass sie nicht umziehen müssen. Doch auch unter Berücksichtigung aller Ausnahmeregelungen verbleibt in Berlin eine Größenordnung von 35.000 bis 45.000 Haushalten, die sich nach der Verordnung in eine billigere Wohnung suchen müssten oder von ihrem Arbeitslosengeld einen Teil der Miete tragen müsste. LinksZeitung: Sind in Berlin schon konkrete Fälle bekannt? Sigmar Gude: Direkte Aufforderungen, die Wohnung zu räumen gibt es bisher nicht. Dafür gibt es in Berlin auch keine gesetzliche Grundlage, weil der Senat eine Frist von einem Jahr beschlossen hat. Allerdings haben sind einige Jobcenter schon ohne eine solche Verordnung tätig geworden. So wurden im Bezirk Reinickendorf Briefe an Hartz-Empfänger geschickt, in denen ihnen mitgeteilt wurde, dass ihre Miete zu hoch sei und sie sich um eine günstigere Wohnung kümmern sollen. LinksZeitung: Warum hat die Senatsverwaltung für Soziales auf diese Studie abwehrend reagiert? Sigmar Gude: Unsere Zahlen sind weit höher als die sehr unspezifischen Zahlen, von denen die Senatsverwaltung bisher ausgegangen ist. Daher war die erste Reaktion auf unsere Studie, wir wissen zwar nicht, wie viele Haushalte von möglichen Umzügen betroffen sind, aber die Zahlen von TOPOS sind auf jeden Fall falsch'. Ich denke, dass es hier um ein Ausweichen vor der Problematik handelt. Allerdings prüfen mittlerweile mehrere Senatoren unsere Studie genau. LinksZeitung: Erwarten Sie Konsequenzen aus Ihrer Studie? Sigmar Gude: Da die Verordnung zwar vom Senat beschlossen aber nicht im Verordnungsblatt erschienen ist, wäre eine Nachbesserung ohne große Umstände und Zeitverzögerung möglich. Wichtig aber ist, dass die Problematik in der Öffentlichkeit breit diskutiert wird. So wird es am 8.September eine Veranstaltung zu der Studie und den Konsequenzen im Berliner Abgeordnetenhaus geben, an der auch Mitarbeiter des Senats für Soziales ihre Teilnahme zugesagt haben. |