Frankfurter Rundschau vom 8.3.05 Eine andere Organisation ist möglich
VON PETER NOWAK Die globalisierungskritische Organisation Attac wurde noch vor wenigen Jahren als Hoffnungsträger am Horizont politischer Bewegungen gefeiert. Doch mehr als vier Jahre nach ihrer Gründung hat sie viel von ihrem jugendlichen Schwung verloren. Mitglieder der ersten Stunde befinden sich bereits auf dem Rückzug. Attac-Sprecher Peter Wahl sprach gar auf einer Veranstaltung von der Neugründung der Organisation. Für den Forscher Jörg Bergstedt sind die Stagnationstendenzen bei Attac im Wesentlichen hausgemacht. Er hat kürzlich mit Mythos Attac ein Buch vorgelegt, dass die Gründung und noch recht kurze Geschichte der Organisation detailliert schildert. Der Autor greift dabei auf bisher unausgewertetes Quellenmaterial zurück. Schließlich kann Bergstedt als Mitbegründer der Jugendumweltbewegung in den frühen 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts als Insider gelten. Viele seiner einstigen Mitstreiter gehören zu den Attac-Mitbegründern. Doch so viel biographische Nähe hat auch ihre Tücken. So hat man stellenweise beim Lesen den Eindruck, dass Bergstedt auch manchen persönlichen Streit mit seinen einstigen Freunden und Mitstreitern, die er wahlweise als "JungmanagerInnen", "FunktionärInnen", "Clique" oder "Bewegungseliten" tituliert, in dem Buch austrägt. Vor allem im Kapitel "Der Filz um den Verdener Attac-Kern" hätte man sich vom Autor etwas mehr persönliche Distanz und Sachlichkeit gewünscht. Im Kapitel über die Rolle der Medien in der Gründungsphase von Attac schreibt Bergstedt: "Für die Medien war Attac die Chance, Politik zu machen. Sie ließen Attac die Regierungspolitik kommentieren." Es wird jedoch nicht so recht klar, was Bergstedt daran auszusetzen hat, wenn neue politische Akteure in den Medien die Möglichkeit bekommen, ihre Positionen zur Diskussion zu stellen. Das Buch gewinnt dort an Überzeugungskraft, wo Bergstedt von der Kritik an einzelnen Akteuren zur Strukturanalyse kommt. Soziologisch ordnet er Attac auf der Führungsebene als Nichtregierungsorganisation ein, die sich vor allem als Lobbyistin für die Anliegen der Globalisierungskritiker begreift. An der Basis hingegen dominiert noch der Typus des Politaktivisten, der lieber ein Gipfeltreffen blockiert als kritisch begleitet. Mit jugendlich-spritzigen Aktionen sei es vielen Attac-Lokalgruppen in den vergangenen Jahren gelungen, vor allem junge Leute für ihre Ziele zu begeistern. Hier sieht Bergstedt einen Hoffnungsschimmer über Attac hinaus. "Am wichtigsten und in politischer Bewegung selten sind die Vielfalt, der konkrete Projektbezug und das hohe Engagement vieler Attac-Basisgruppen". Sie müssten nur Abschied von zentralistischen Organisationsmodellen, Labelpolitik, Bewegungspopulismus und verkürzten Wirtschaftsanalysen nehmen, die Bergstedt im Buch sehr ausführlich kritisiert hat. Allerdings muss man sich fragen, ob die Lesart von den "bösen", weil machtversessenen Funktionären und der "guten", weil engagierten Basis nicht selber Teil eines Mythos ist. Hier überträgt Bergstedt das Muster von linken Kritikern der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften auf Attac. Er fragt sich aber nicht, ob die von ihm aufzeigte Mixtur aus Lobbyarbeit und spritzigen Aktionen zum Erfolgsgeheimnis nicht nur von Attac sondern der globalisierungskritischen Bewegung insgesamt seit den Protesten von Seattle 1999 zählt. Damals haben gestandene Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGO) betont, wie wichtig die Blockadeaktionen des breiten Protestbündnisses für ihr Anliegen waren. Eine solche Arbeitsteilung konnte auch später während vieler großer Gipfeltreffen in aller Welt beobachtet werden. Mit dem etwas verfremdeten Attac-Motto "Eine andere Organisation ist möglich", schließt Bergstedt bei seiner vorherigen Fundamentalkritik mit einem erstaunlich optimistischen Resümee. Damit hat er vielleicht eine gute Basis für eine rege Diskussion seiner Thesen auch bei Attac selber geschaffen. |