ND vom 2.9.05Schweizer Streit um ein »linkes Nein« Eidgenössische Linke zerstritten über eine Arbeitsmarkt-Öffnung für EU-Bürger aus den osteuropäischen Staaten Von Peter Nowak Teile der Schweizer Gewerkschaften sind gegen die Grenzöffnung für Osteuropäer - sie haben Angst vor Lohndumping. Die linke »Partei der Arbeit« sieht das ganz anders und warnt vor rechter Demagogie. Die Debatte um den Begriff »Fremdarbeiter«, den Linkspartei-Spitzenkandidat Lafontaine vor einigen Wochen ausgelöste, hat an Schwung verloren. Auf Bitten führender Politiker der Linkspartei hat Lafontaine auf den Gebrauch des Begriffs verzichtet. Doch bei der Auseinandersetzung geht es nicht nur um die Wortwahl. Es geht um die Frage, ob sich die Linke im Angesicht der wirtschaftlichen Globalisierung auf den alten Nationalstaat berufen soll oder ob sie sich nicht besser auf eine Tradition der frühen Arbeiterbewegung besinnen sollte - die Internationale Solidarität. Darüber wird auch in der Schweiz zur Zeit in allen politischen Lagern heftig gestritten. Anlass ist ein für den 25. September anberaumtes Referendum zur Personenfreizügigkeit. Die Schweizer Wähler sollen darüber entscheiden, ob die bilateralen Verträge, die EU-Bürgern ermöglichen, sich in der Schweiz niederzulassen, auf die neuen EU-Staaten im Osten und Süden Europas ausgedehnt werden. Schon die Freizügigkeitsregelung mit den bisherigen EU-Staaten war in der Alpenrepublik umstritten. Doch im Mai 2002 stimmten schließlich 67,2 Prozent für eine stark eingeschränkte Freizügigkeitsregelung. EU-Bürger, die sich in der Alpenrepublik niederlassen wollen, müssen über einen Arbeitsvertrag verfügen oder den Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln finanzieren können. Für Arbeitslose gilt die Freizügigkeit nicht. Die geplante Ausdehnung dieser beschränkten Freizügigkeit sorgt für noch mehr Debatten. Die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) und kleinere Rechtsparteien haben die Initiative für das Referendum ergriffen und werden dabei von einigen linken Gruppen unterstützt. Romolo Molo ist Jurist, Mitglied der Gewerkschaft Unia - und sitzt im Referendumskomitee für ein Nein zur erweiterten Personenfreizügigkeit. Er befürwortet ein Recht auf Freizügigkeit bei gleichem Lohn und gleichwertiger Arbeit. Da diese Rechte aber nicht gewährleistet seien, setzt er sich für ein Nein ein. »Wie kann Lohndumping sonst bekämpft werden, solange die Unternehmer über ein uneingeschränktes Kündigungsrecht verfügen?«, fragt Gewerkschafter Melo. Die Position, ohne soziale Rechte auch keine Freizügigkeit, wird von Anjuska Weil vom Vorstand der Schweizer Partei der Arbeit (PdA) scharf zurückgewiesen. Sie ist überzeugt, dass die Linke Ja zur erweiterten Personenfreizügigkeit sagen muss, auch wenn sie die Sorgen der von Kündigung und Sozialdumping betroffenen Menschen versteht. »Nicht die Arbeitsmigranten, die - aus welchen Ländern auch immer - hierzulande eine Existenzgrundlage suchen, sind ein Problem«, so Weil. Sie warnt vor nationalistischer Demagogie, die die Lohnabhängigen spaltet, und pocht auf internationalistische Positionen. »Die liberale Wirtschaft will die freie Entfaltung des Kapitals, wir dagegen wollen die freie Entfaltung der Person - und dieser emanzipatorische Anspruch muss immer wieder erkämpft werden.« Eine dritte Position vertritt der Redakteur der linken Schweizer Wochenzeitung »Vorwärts«, Walter Angst. Er ruft zum Boykott des Referendums auf. Solange wir uns als Internationalisten verstehen, sollen wir die Finger vor einer aktiven Nein-Kampagne zur Abstimmung bei der Personenfreizügigkeit lassen, meint Angst. Umgekehrt könne die Linke auch nicht die Augen vor dem Lohndumping und den verstärkten Druck auf die Arbeitsverhältnisse verschließen. »Es ist beileibe nicht das erste Mal, dass wir vor einem Abstimmungstermin vor einer Frage stehen, die wir weder mit Ja noch mit Nein beantworten können«, erinnert Angst. Diese Position wird von der trotzkistischen Bewegung für den Sozialismus (BfS) scharf attackiert. »Im Namen der fremdenfeindlichen Gefahr weigert sich ein Grossteil der Linken, gegen das Paket der Bilateralen II zu opponieren. Sie überlässt diese politische Aufgabe ganz der nationalen Rechten, die den Unmut ausnützt, den es in breiten Schichten der lohnabhängigen Bevölkerung wegen der Angst vor weiteren Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen gibt«, heißt es auf der Homepage der Gruppierung, die führend in der »Kampagne für ein linkes Nein am 25. September« aktiv ist. Noch ist das Ergebnis völlig offen. Auch die Rechte ist sich nicht einig. Innerhalb der SVP bekennt sich eine wirtschaftsliberale Minderheit für ein Ja zur Personenfreizügigkeit. Selbst der populistische Parteivorsitzende Blocher kann sich nicht so recht entscheiden, ob er als führender Industrieller von einer erweiterten Freizügigkeit profitieren will oder ob er sie als nationalistischer Scharfmacher bekämpft |