ND 25.01.05Verdienste und Versagen Was hat die Antisemitismusforschung gebracht? Von Peter Nowak Nach dem Eklat im sächsischen Landtag, der Verweigerung der NPD, sich am Gedenken an die Holocaust-Opfer zu beteiigen, stellt sich nicht nur die Frage: Wie virulent ist noch der Antisemitismus unter den Deutschen? Sondern auch: Was hat jahrzehntelange Antisemitismusforschung gebracht? Sind die Studien und Dokumentationen über den NS-Genozid an den europäischen Juden, die beispielsweise am seit zwei Dezennien bestehenden Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin erarbeitet wurden, wirkungslos geblieben? Unbestreitbar, diesem Institut sind rechtsextremistische Entgleisungen nicht anzulasten. Unter Leitung von Wolfgang Benz hat es stets verantwortungsvoll in aktuelle Debatten eingriffen und seriöse Forschungen betrieben. Ein von Werner Bergmann und Mona Körte herausgegebener Sammelband informiert über die Antisemitismusforschung hier zu Lande. Er zeugt auch von löblichem interdisziplinären Herangehen, umfasst Beiträge aus den Bereichen Geschichte, Theologie, Soziologie, Medizin und Jura, Kunst und Literatur. Einige Autoren beklagen jedoch auch, dass es mit der gebotenen Interdisziplinarität zum Problem Antisemitismus leider noch nicht so weit gediehen ist wie gewünscht. Das liegt auch an der finanziellen Ausstattung wie dem teils noch zu registrierenden eifersüchtigen Wachen über das eigene wissenschaftliche Revier, an der Angst vor »Eindringlingen«. So muss sich die Antisemitismusforschung oft mit der Holocaustforschung um Gelder streiten. Das bringt Abgrenzungen hervor, wo eine wissenschaftliche Zusammenarbeit angesagt wäre. Wissenschaftler, die sich zum Thema äußern, ohne Antisemitismusforscher zu sein, haben es nicht leicht. Das Dilemma verdeutlicht dieser Band selbst an mehreren Stellen. Etwa, wenn der US-Historiker Daniel Goldhagen erwähnt wird. Dieser hat nicht nur umstrittene Thesen zur Genese des Antisemitismus in Deutschland veröffentlicht, sondern sich auch mit der Rolle der katholischen Kirche während des Holocaust auseinander gesetzt. Doch statt sich mit diesen kritisch zu beschäftigen, fordert der theologische Antisemitismusforscher Rainer Kampling: »Kein Dialog nach dem Monolog.« Die Sozialwissenschaften, die in der Nachkriegszeit zu den Pionieren einer Antisemitismusforschung (damals allerdings noch nicht so genannt) gehörten, haben sich später von der Thematik weitgehend abgewandt. »Starker Auftakt - schwacher Abgang«, resümiert Werner Bergmann. Ähnlich ist das Fazit hinsichtlich der Psychoanalyse. Nachdem in den 30er und 40er Jahre des letzten Jahrhunderts wichtige Bücher - oft von jüdischen Emigranten - verfasst worden sind, die psychologische Deutungen des NS-Regimes und seiner Verbrechen bemühten, hat die nachfolgende Forschergeneration daran kein Interesse mehr gezeigt. Dahingegen kamen neue Impulse aus der Medizingeschichte. »Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit eine ärztliche Aussage judenfeindlich genannt werden kann?«, fragt Klaus Hödl. Er befasst sich auch mit Publikationen, die einerseits Juden eine genetisch bedingte Disposition für bestimmte Krankheiten nachweisen, andererseits bestimmte positive Eigenschaften in den Genen angelegt wissen wollen, wie etwa die Mitte der 90er Jahre in den USA popularisierte These, die den Juden eine besondere Intelligenz attestiert. Hödl kommt zu dem Schluss, dass nur dann von einem medizinischen Antisemitismus gesprochen werden kann, wenn Vorurteile und Stereotype aneinander gereiht in pseudowissenschaftliches Gewand gehüllt werden. Dietz Bering, der in diesem Band die Antisemitismusforschung in der Sprachwissenschaft vorstellt, polemisiert gegen Versuche, bestimmte Begriffe per se als antisemitisch zu bezeichnen und auszusortieren, als vor übereifrige political correctness im Sprachgebrauch. Es komme vielmehr stets auf den Kontext an. So stamme das Wort »zersetzen« ursprünglich aus der Chemie, wo es auch heute noch seine Berechtigung habe. Erst wenn es auf gesellschaftliche oder kulturelle Bereiche ausgeweitet wird, erwachsen problematische Implikationen. Auch dem Wort »Wucher« will Bering seine Berechtigung in der juristischen Debatte nicht absprechen. Wenn dieses allerdings mit einem gewissen Menschenschlag als typisch verknüpft wird, kann es zu einem gefährlichen, mörderischen Stereotyp werden. Mit der auf den Islam und Nahost bezogenen Sozialforschung stellt Götz Nordbruch einen noch sehr jungen Zweig der Antisemitismusforschung vor, der sicher zukünftig in der wissenschaftlichen wie aktuell-politischen Debatte an Bedeutung gewinnen dürfte.
Werner Bergmann/ Mona Körte (Hg.): Antisemitismusforschung in den Wissenschaften. Metropol Verlag, Berlin 2004. 398S., br., 21 EUR. |