Telepolis vom 3.01.2005Pannen, Pleiten und Widerstand Peter Nowak
Auch im neuen Jahr beschäftigen die Hartz-Reformen Demonstranten, Politiker und wohl bald auch die Gerichte Am Montagvormittag war vor den Eingängen der Arbeitsagenturen das Gedränge groß. Doch es waren nicht nur Erwerbslose, die am ersten Arbeitstag des neuen Jahres ihre Formulare abgeben oder Erkundigungen über ihre Leistungen beim Arbeitsamt einholen wollen. Vor den Eingängen hatten sich um 9 Uhr morgens Kamerateams aufgebaut und ein Pulk von Journalisten suchte mit Aufnahmegeräten und Schreibblöcken nach auskunftsfreudigen Erwerbslosen. Vielerorts standen noch zahlreiche Polizisten um die Eingänge herum und beäugten argwöhnisch all jene, die Einlass in das Amt begehrten. Denn am 1.Januar 2005 sind die viel diskutiereten HartzIV-Gesetze in Kraft getreten, die im Spätsommer und Herbst noch Tausende Menschen zu Protesten auf die Straße getrieben hatten. In den letzten Wochen war es um Hartz IV ruhiger geworden. Zwar gab es in Nürnberg vor der Bundeszentrale der Agentur für Arbeit Anfang November eine Demonstration mit über 10.000 Menschen. Doch für einen Großteil der Medien waren die Proteste mit den Abflauen der Montagsdemonstrationen beendet. Der 3.Januar 2005 sollte auch zeigen, ob diese Behauptung stimmt. Schließlich wollten es Erwerbslosengruppen und soziale Initiativen noch einmal wissen und riefen für diesen Tag zur Aktion Agenturschluss (Von der Montagsdemonstration zur Aktion Agenturschluss [1]) auf. Die Idee für diese Aktion wurde bei einem Workshop mit dem sperrigen Titel "Gebt uns Räume" - wie man sich gegen Entwürdigung zur Wehr setzt und welche Perspektiven das hat. Erfahrungsaustausch über Widerständiges zu Hartz" - geboren, der im Frühsommer 2004 auf dem Kongress "Die Kosten rebellieren" angeboten worden war. Die Betroffenen sollten den Ablauf bei den Agenturen für Arbeit für einen Tag zum Stillstand bringen oder zumindest massiv behindern. Die Erwerbslosen sollten sich im Amt den Raum und die Zeit nehmen, über Gegenwehr gegen die Maßnahmen der Arbeitsämter auszutauschen, juristische Tipps sollten gesammelt werden und wenn möglich eine Vernetzung der Betroffenen angegangen werden. Auch die Mitarbeiter der Arbeitsagenturen waren im Vorfeld gezielt mit Flugblättern angesprochen worden. Dort wurde deutlich gemacht, dass sich die Aktion Agenturschluss nicht gegen sie richtet und dass sie selbst im bestehenden gesetzlichen Rahmen Entscheidungsmöglichkeiten zugunsten der Erwerbslosen haben und ausnutzen können. Trotzdem gingen Teile der DGB-Führung und auch der Einzelgewerkschaften schnell auf Distanz zu der geplanten Aktion und sahen in den Arbeitsagenturen den falschen Adressaten. Erste positive Bilanz der Aktion Agenturschluss Deshalb war es bis am Mitte Dezember ungewiss, welche Resonanz die Aktion haben würde. Erst in den letzten Wochen zeichnete sich ab, dass sich über 50 Städte an der Aktion Agenturschluss beteiligen würden. Am frühen Nachmittag des 3.1. zogen die Protestinitiatoren daher auch eine erste positive Bilanz. Nicht nur in Großstädten wie Berlin, Leipzig und Nürnberg sondern auch in zahlreichen kleineren Städten gab es Aktionen rund um die Arbeitsagenturen und in Leipzig und Berlin gelang so dass, was das Polizeiaufgebot unbedingt verhindern wollte: die Ämter wurden kurzzeitig besetzt [2]. Im Berliner Stadtteil Wedding mußte die zentrale Arbeitsagentur kurz nach 11 Uhr "aus Sicherheitsgründen" geschlossen werden, wie der Amtsleiter unter großen Applaus der Umstehenden über Megaphon verkündte. Dort hat die zentrale Berliner Aktion im Rahmen von Agenturschluss stattgefunden. Auch viele Erwerblose, die an diesem Tag einen Termin in dem Amt hatten und erst dort mit den Protesten konfrontiert worden waren, spendeten Applaus. Böse Worte gab es von ihrer Seite kaum. Das zeigte den Protestinitiatoren, dass die Hartz-IV-Gesetze bei großen Teilen der Bevökerung nicht akzeptiert sind, wenn auch nach den Abflauen der Montagsdemonstrationen vielerorts Ratlosigkeit über das weitere Vorgehen herrscht. Die Protestbereitschaft könnte wieder zunehmen, wenn Erwerbslose in den nächsten Wochen auf Euro und Cent erfahren, wie hoch ihr monatliches Arbeitslosengeld künftig sein wird. "Können Sie mit 3 Euro im Tag leben"? rief eine ältere Frau den Journalisten vor dem Arbeitsamt Wedding zu. Sie hatte gerade erfahren, wie viel sie künftig monatlich auf dem Konto haben wird und sich spontan den Protesten angeschlossen. Auch innerhalb der Bundesregierung ist die Unsicherheit über die Reformen noch gross. Das zeigte sich vor wenigen Tagen, als Bundeskanzler Schröder den Wirtschaftsminsiter Clement persönlich für den Erfolg der Hartz-Reformen verantwortlich machte. In vielen Pressekommentaren [3]) wurde diese Haltung so interpretiert, dass hier schon ein Sündenbock für ein Scheitern gesucht wird. Über diese offizielle Unsicherheit konnten auch mehrseitige Anzeigen der Bundesregierung nicht hinwegtäuschen. Unter dem Titel "agenda 2010 - Deutschland bewegt sich" [4] wurde auf 6 Seiten Zweckoptimismus in Schrift und Bild verbreitet. --Mit der Agenda 2010 stärken wir die Kräfte unseres Landes und eröffnen neue Chancen für uns alle. 2004 haben wir die Grundlagen für ein gerechtes, modernes und dynamisches Deutschland gelegt.-- Die Adressaten dieser Botschaft waren die verunsicherten Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Politik, die die FAZ lesen. Das Ziel der Aktion Agenturschluss war es umgekehrt, die Verunsicherung in diesen Kreisen zu verstärken und deutlich zu machen, dass auch im neuen Jahr Hartz IV noch längst nicht allgemein akzeptiert ist. Dazu trägt die Bundesregierung selber mit bei. Ein Computerfehler [5] sorgte dafür, dass ein Teil der Erwerbslosen die Unterstützung nicht pünktlich auf ihrem Konto haben werden. "Pleiten, Pech und Pannen haben den Start von Hartz IV begleitet", schrieb der Stern süffisant [6]. Doch jetzt könnte auch die Justiz eingreifen. So kommt eine von den PDS-Fraktionen in den Landtagen von Brandenburg, Sachsen und Thüringen in Auftrag gegebene gutachterliche Stellungnahme [7] zu dem Ergebnis, dass Hartz IV in zehn Punkten gegen das Grundgesetz verstößt. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes der Bundesregierung kam jetzt zu einem ähnlichen Ergebnis [8]. Spiegel Online prognostiziert [9] eine Klagewelle gegen Hartz IV in den nächsten Wochen.
LINKS
[1] http://www.telepolis.de/r4/artikel/19/19063/1.html [2] http://germany.indymedia.org/ [3] http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,334664,00.html [4] http://www.bundesregierung.de/Publikationen-Fotos/Broschueren-bestellen- ,11648.607262/bestellservice/agenda-2010-Deutschland-bewegt.htm [5] http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/politik/408321.html [6] http://www.stern.de/politik/deutschland/?id=534433&nv=cp_L2_tt [7] http://www.bag-shi.de/sozialpolitik/arbeitslosengeld2/pm_pds_gutachten/v iew [8] http://www.heute.de/ZDFheute/artikel/9/0,1367,WIRT-0-2245225,FF.html [9] http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,335241,00.html |