ND 29.01.04Ein Tätervolk, zumindest fast Ein Film über den jüdischen Künstler Bruno Schulz endet in einer seltsamen Debatte
Von Peter Nowak Ich muss das malen. Bald kommt ein furchtbarer Sturm, und alles wird verschwinden«. Schon 1915, nachdem Kosaken während eines Judenpogroms das Haus seiner Eltern angezündet hatten, notierte der polnisch-jüdische Maler und Schriftsteller Bruno Schulz dunkle Ahnungen über die Zukunft Mitteleuropas. Wahr wurden sie ein Vierteljahrhundert später, als die Deutschen in seinem Ort einrückten. In Drohobycz werden die Juden zum Freiwild. Um zu überleben, malt Schulz im Haus des berüchtigten SS-Hauptscharführers Felix Landau zahlreiche Fresken. Landau brüstet sich damit, einen jüdischen Künstler als Sklaven zu haben. Für Schulz dagegen ist es nur ein Aufschub. Am 19.November 1942, als im Getto von Drohobycz rund 230 Juden ermordet werden, treffen zwei Kopfschüsse aus der Waffe des SS-Scharführers Karl Günther auch Bruno Schulz. Der 1892 in dem heute zur Ukraine gehörenden Städtchen Drohobycz geborene Schulz fiel der Vergessenheit anheim. Das Manuskript seiner auf Deutsch verfassten Erzählung »Die Heimkehr«, die Schulz ein Jahrzehnt lang vergeblich zu publizieren versuchte, ist bis heute verschollen. Sein Werk ist in alle Winde zerstreut. Selbst sein Grab ist unbekannt. Jahrelang hatte es Mutmaßungen über den Verbleib der Fresken aus Schulz' letzten Monaten gegeben. Doch erst der Hamburger Schriftsteller Christian Geissler konnte mit Ausdauer, großer Sensibilität und viel Glück die Kunstwerke in der Speisekammer eines in armen Verhältnissen lebenden Rentnerehepaars lokalisieren. Sein Sohn Florian Geissler begleitete mit der Kamera die lange und mit vielen Hindernissen behaftete Suche. Die Atmosphäre des Schreckens wird noch einmal lebendig, die Zeit, in der die Juden Freiwild waren. Und auch die Täter werden gezeigt. So konnte der fanatische Antisemit Landau zunächst als Architekt in Nördlingen untertauchen, wo er 1958 verhaftet wurde. Nach 10 Jahren schon folgte die Begnadigung und ein unbehelligter Lebensabend in Wien, wo er 1983 starb. Sein Sohn will mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben. Vergangenen Sonntagabend hatte der Film nun in der Berliner Akademie der Künste Premiere. Doch die Präsentation endete mit einer merkwürdigen Debatte. Nicht über das verlorene Kulturerbe Mitteleuropas, nicht über die Zeitgeschichte wurde in der Akademie gestritten. Denn die Geschichte der Schulz-Fresken entwickelte sich nach ihrer Wiederentdeckung zu einem sensiblen Streit von internationaler Dimension: Kurz nach dem Fund lösten drei angereiste Experten der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem einen Teil der Gemälde vom Putz und schafften die Fragmente nach Israel. Die Aktion zog scharfe Kritik nach sich: Jüdische Überlebende aus der Ukraine wollen Gedenkorte dort errichten, wo die Opfer gestorben sind und so ein Zeichen auch gegen den heutigen Antisemitismus setzen. Die Überlebenden sind die Einzigen, die darüber entscheiden sollen, meint auch Christian Geissler. Was sich der Schulz-Wiederentdecker allerdings nicht gewünscht hat, waren die schrillen Töne, die in diesem Zusammenhang auch in der Akademie zu hören waren. Von »israelischen Kunsträubern« und »Zerstörung« war dort die Rede. Vergeblich mahnte Diskussionsleiter Siegfried Zielinski Sensibilität zumindest in der Wortwahl an. Die ließ indessen auch Florian Geissler vermissen, als er seine Weigerung, die Restauration der Fresken in Yad Vashem mit der Kamera zu begleiten, damit begründete, dass er nicht zum »Mittäter« werden wolle. Die Argumente der Israelis interessierten nur wenige Anwesende: Bruno Schulz sei als Jude ermordet worden, deshalb gebühre ihm ein Gedenken in Yad Vashem, heißt es dort. Außerdem erinnert man daran, dass sich Drohobycz bisher kaum um sein jüdisches Erbe gekümmert hat. Die größte Synagoge des Ortes ging 1998 in Flammen auf und wird heute von den Einwohnern als öffentliche Toilette genutzt, die Grabsteine des alten Friedhofs seien zum Straßenbau verwendet worden - Drohobycz habe sein Recht auf die Kunstwerke gewissermaßen verspielt. Vielleicht kann der Film dem Streit noch eine Wendung geben. So könnte das von Christian Geissler angeregte Bruno-Schulz-Museum in Drohobycz den Künstler dem Vergessen entreißen. Dann könnte auch über eine zumindest zeitweilige Rückkehr der restaurierten Fresken in die Ukraine verhandelt werden. |