ND 17.12.04Bauernopfer der Anpassung BRD-Gewerkschafter, DDR-Ehrendoktor: Vor 40 Jahren starb der verfemte Viktor Agartz Von Peter Nowak Selbst im DGB erinnern sich heute nur noch die Wenigsten an Viktor Agartz. Dabei war dieser ein bedeutender Gewerkschaftstheoretiker in der Frühphase der BRD, bevor er zu einem Opfer des Kalten Krieges wurde. In den 50er Jahren zunächst Buhmann der konservativen Presse, wurde Agartz 1957 wegen angeblich hoch- und landesverräterischer DDR-Kontakte verhaftet und angeklagt. Obwohl später freigesprochen, war er forthin politisch erledigt. Als Agartz schließlich am 9. Dezember 1964 mit 67 Jahren einsam und verbittert in Köln verstarb, nahmen nur noch engste Weggefährten davon Kenntnis. Umso begrüßenswerter daher, dass Anfang Dezember zu seinem 40. Todestag in der Berliner Mediengalerie an den Vergessenen erinnert wurde. Immerhin gehört das Haus einer DGB-Gewerkschaft - von den bundesdeutschen Gewerkschaften aber wurde Agartz niemals rehabilitiert. Die Gewerkschaft ver.di kam mit der Veranstaltung einem Beschluss ihrer Vorgängerorganisation HBV von 1998 nach - die Auseinandersetzung mit den Opfern des Kalten Krieges sollte demnach nicht auf diejenigen beschränkt werden, die im Osten zu leiden hatten. Mehr als löblich, dass diese Entscheidung, die nach der ver.di-Gründung zunächst in Vergessenheit zu geraten schien, nun wieder aufgegriffen wurde. Und Agartz eignet sich für ein solches Erinnern wie nur wenige andere. Der langjährige Vorsitzende der IG Medien von Nordrhein-Westfalen, Franz Kersjes, machte bei der Veranstaltung noch einmal deutlich, dass Agartz gestürzt wurde, weil er an den ursprünglichen Gründungszielen des DGB festgehalten hatte. »Kapitalismus und Demokratie können in Deutschland nicht zusammen existieren«, hatte einst sogar SPD-Chef Kurt Schumacher erklärt, und das erste DGB-Programm stand noch ganz im Zeichen dieses antikapitalistischen Konsenses. Aber im Zuge des Kalten Krieges schritt die Restauration der alten Besitz- und Machtverhältnisse rasant voran. Sozialismus und Kommunismus waren in den 50er Jahren die neuen alten Feindbilder. In der SPD wurden schon Mitte der 50er Jahre die Weichen für eine große Koalition gestellt. Auch im DGB war man auf Anpassung aus - wozu die sozialistische Programmatik über Bord geworfen werden musste wie ein lästiger Ballast. Agartz gehörte zu den wenigen, die offen gegen einen solchen »Reformkurs« auftraten. Spätestens mit seiner fulminanten Rede auf dem DGB-Kongress im Oktober 1954 wurde dies deutlich. »Wir müssen feststellen, dass selten eine kapitalistische Expropriation so offen vollzogen wurde, wie nach dem Jahre 1948«, lautete einer seiner Kernsätze. Faschistische Elemente drängten zurück in Verwaltung und Politik. Ein autoritäres Regierungssystem werde installiert. Agartz beschwor die Delegierten, an dem Kampf um eine grundlegende Umwälzung der Produktionsverhältnisse festzuhalten. Als kurzfristigen Aktionsplan projektierte er eine expansive Lohnpolitik und radikale Arbeitszeitverkürzung. Bei den Delegierten kam die leidenschaftliche Rede gut an. Die DGB-Führung hingegen war entsetzt. Die christlichen Gewerkschafter stellten sogar die Einheitsgewerkschaft in Frage. Diese Ansprache leitete Agartz' Sturz ein. Vorwände wurden gesucht und gefunden. Doch während linke Gewerkschaftler schon damals erkannten, dass Agartz nichts anderes als das Bauernopfer für einen Kurswechsel des DGB war, tut sich der Apparat noch heute schwer mit einer Entschuldigung. Auch bei der Veranstaltung 40 Jahre später wollten Hans Otto Hemmer vom DGB-Bundesvorstand oder der ver.di-Archivar Hartmut Simon den Abschuss des Kritikers zwar nicht rechtfertigen - doch über die Verantwortung der Gewerkschaftsbürokratie redeten sie nicht. Aus dem Publikum kam dann eine Reminiszenz an die Gegenwart: An Agartz wurde in den 50er Jahren die Ehrendoktorwürde der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Ostberliner Humboldt-Universität verliehen, was zu heftigen Angriffen im Westen führte. Doch heute schmückt man sich dort lieber mit dem jüngsten Ehrendoktor Wilhelm Krelle. Der hatte in den 90er Jahren mit dem Spruch von sich reden gemacht, dass kein Marxist mehr die Schwelle der HUB übertreten werde. Auch seine Vergangenheit in der Waffen-SS und der SS-Panzergrenadierdivision »Götz von Berlichingen« hinderte die Wirtschaftswissenschaftsfakultät der HU nicht, Krelle nach seinem Tod gebührend zu feiern. Der vierzigste Todestag ihres Ehrendoktors Agartz hingegen wurde ignoriert. |