Telepolis30.09.2004 Der Funke sprang nicht über
Peter Nowak Die große Frage ist, ob die Anti-Hartz-Bewegung das Ende der Montagsdemonstrationen überleben wird "Montag ist Hartz-Tag", titelte die Taz Mitte August. Die Montagsdemonstranten hatten damals ein großes Medienecho ausgelöst. Über einen Montag später gehen diese Proteste allmählich zu Ende. Dazu brauchte man nicht die Erklärung [1] der globalisierungskritischen Organisation Attac [2]. Die Zahl der Demonstranten ist in den letzten beiden Wochen zurück gegangen. Schon Mitte September hatte sich der Berliner Landesverband der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aus der Vorbereitung der Berliner Montagsdemonstration zurückgezogen und nahm offiziell dafür den Streit verschiedener linker Gruppen zum Anlass. Gerade in Berlin hatte diese Auseinandersetzung besonders skurrile Formen angenommen. Mehrmals gab es dort zwei getrennte Montagsdemonstrationen. Zwischendurch erzwangen Gewerkschaftler und Erwerbslose eine fragile Einheit. Doch spätestens seit klar wurde, dass auch der Höhepunkt und wohl auch Abschluss der Montagsdemonstrationsbewegung getrennt zelebriert wird, war es damit endgültig vorbei. Am kommenden Samstag wird es in Berlin eine bundesweite Großdemonstration [3] gegen Hartz IV geben, die vor allem von Einzelgewerkschaften, Attac, der Wahlalternative und der PDS vorbereitet wird. Einen Tag später will dann das der traditionell kommunistischen MLPD [4] nahestehende Spektrum mit einem Sternmarsch [5] in Berlin ihren Protest ausdrücken. Ebenfalls am Sonntag wird auf einen bundesweiten Kongress in Berlin über die Perspektive der Proteste beratschlagt. Eigentlich ist die Bewegung in dieser Hinsicht in einer komfortablen Situation. Lange bevor von den Montagsdemonstrationen begannen, wurde für eine bundesweite Demonstration vor der Bundeszentrale für Arbeit am 6.November in Nürnberg mobilisiert [6]. Auch für die Aktion Agenturschluss [7] liefen die Vorbereitungen schon im Sommer an. Unter diesem Label werden Aktionen vor den Arbeitsämtern geplant, die mit dem Inkrafttreten der Hartz-Gesetze Anfang Januar anlaufen sollen. Mittlerweile kursieren im Internet auch schon phantasievolle Vorschläge für Aktionen, die über eine bloße Protesthaltung hinauskommen. Dazu gehört der Aufruf zur Bildung von Arbeitslosenräten [8], die in den Arbeitsämtern mitbestimmen sollen. So könnte die Protestbewegung das absehbare Ende der Montagsdemonstrationen eigentlich gelassen beobachten. Doch es bleibt die Frage, ob die übrigen Proteste davon profitieren können. Denn für den Großteil der Medien war die Stärke der Montagsdemonstrationen ein Gradmesser für den Stand der Anti-Hartz-Proteste. In dieser Logik wird ein Abflauen oder gar Ende der Montagsdemos mit einer Akzeptanz der Hartz-Gesetze gleichgesetzt. Gleichzeitig hat in den Medien eine Diskursverschiebung stattgefunden. Statt über die Folgen von Hartz IV wurde über Ost-West-Befindlichkeiten 15 Jahre nach der Einheit Deutschlands debattiert. Die Demonstranten waren plötzlich wieder die "undankbaren Ossis", die nicht nur auf die Straße gehen, sondern auch rechtsextremistische Parteien in die Landesparlamente wählen. Spätestens nach den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen gehörte es zum Grundkonsens der Demokraten, nicht Hartz IV sondern die Proteste dagegen für die Stimmengewinne von DVU und NPD verantwortlich zu machen. Dabei hatte eine wissenschaftliche Studie, die kurz nach diesen Wahlen veröffentlicht wurde, genau dafür keine Anhaltspunkte gefunden. Es gäbe unter den Montagsdemonstranten "keine markante Hinwendung" zu rechtsradikalen Parteien. "Der typische Montagsdemonstrant ist männlich, um die 50 Jahre alt, gut gebildet und informiert und deutlich links orientiert", lautet das Fazit des vom Wissenschaftszentrum Berlin unter Leitung des Bewegungsforschers Dieter Rucht erstellten Studie [9]. Die Ergebnisse sind auf der Grundlage von Befragungen bei den Demonstrationen in Berlin, Dortmund, Magdeburg und Leipzig erstellt worden. Gerade in kleineren Städten gab es sicher andere Erfahrungen [10]. Doch insgesamt lässt die Studie den Schluss zu, dass gerade die Rechtswähler mehrheitlich nicht zu den Montagsdemonstrationen gehen, sondern ihren Protest durch die Stimmabgabe ausdrücken. Doch solche differenzierte Ergebnisse dringen in den meisten Medien nicht durch. Trotz aller Bemühungen auch von Seiten ehemaliger DDR-Oppositioneller gelang der Montagsdemonstrationsbewegung eine Ausweitung in den Westen nicht. Wie schon bei dem IG-Metall-Streik für eine Arbeitszeitverkürzung im letzten Jahr blieb der Osten Deutschlands auch bei den Hartz-Protesten weitgehend auf sich allein gestellt. So wie damals werden die Folgen aber kein Ostproblem bleiben, wie DDR-Oppositionelle in einem Aufruf [11] an westdeutsche Gewerkschaftler betonen. Die Financial Times Deutschland brachte die weitergehende Wirkung von Hartz IV in einer Kolumne auf den Punkt [12]: Wenn Arbeitslose schlecht bezahlte Arbeit nicht mehr ablehnen können, weil ihnen sonst sogar die Sozialhilfe gestrichen wird, entfällt jede Veranlassung für die Unternehmen, einigermaßen auskömmliche Löhne anzubieten. Der Lohndruck macht nicht bei einfachen Beschäftigungsverhältnissen Halt. Er setzt sich überall durch. Die von Regierung und Arbeitgebern bei Löhnen und Gehältern gewünschte "Flexibilität" - nach unten - wird durch Hartz IV auf allen Ebenen des Arbeitsmarktes gefördert.
Links
[1] http://www.stern.de/politik/deutschland/?id=530370&nv=cp_L2_rt [2] http://www.attac.de/presse/index.php [3] http://www.zweiter-oktober.de/ [4] http://www.mlpd.de/vorlagen/montagsdemo-aktuell/montags-demo05.htm [5] http://www.sternmarsch-berlin.de [6] http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/nuernberg04.html [7] http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/agenturschluss_aufruf .html [8] http://www.sozialforum-berlin.de/modules.php?op=modload&name=News&file=a rticle&sid=141&mode=thread&order=0&thold=0 [9] http://www.wz-berlin.de/aktuell/pdf/zus.fass_2.pdf [10] http://www.taz.de/pt/2004/09/22/a0313.nf/text [11] http://www.tacheles-sozialhilfe.de/harry/view.asp?ID=1277 [12] http://www.ftd.de/pw/de/1091856612389.html |