Telepolis vom 19.9.04Wahlen im Zeitalter von Hartz IV
Peter Nowak PDS und Rechte gewinnen, die großen Parteien verlieren Ganz entspannt war die Stimmung am Sonntagabend im Willy-Brand-Haus in Berlin, wo die SPD-Bundeszentrale ihren Sitz hat. Eigentlich ist das erstaunlich. Denn in Sachsen ist die SPD knapp unter die 10 % Marke gefallen. Doch das stecken die Genossen achselzuckend weg. Denn schließlich waren sie durch die Umfragen wochenlang darauf vorbereitet gewesen. Entscheidend war für die Sozialdemokraten, dass sie in Brandenburg weiterhin stärkste Partei geblieben sind. Brandenburg ist für die SPD das östliche Pendant von Nordrhein-Westfalen. Dort finden am Wochenende die Kommunalwahlen und im Frühjahr 2005 die Landtagswahl statt. Jetzt hoffen die Sozialdemokraten, auch dort ihre Stellung als stärkste Partei zu behaupten. Eindeutige Verliererin des vergangenen Sonntags ist die CDU. In Brandenburg, wo sie noch vor einigen Monaten als stärkste Partei gehandelt wurde, ist sie mit 21 % hinter SPD und PDS auf den dritten Platz gelandet. Noch eindeutiger war die Talfahrt in Sachsen, wo sie von 56 % auf 41 % gesunken ist. Selbst mit der wieder in den Landtag eingezogenen FDP fehlt zur bürgerlichen Mehrheit ein Sitz. Auch die Grünen haben in Sachsen knapp den Einzug geschafft. Für CDU-Parteichefin war es eine ungewohnte Rolle, in der Wahlnacht eine Niederlage zu interpretieren. Der Nimbus der ewigen Gewinnerin ist dahin. Ihre innerparteilichen Gegner werden jetzt noch einmal darauf pochen, dass die Kanzlerkandidatur noch längst nicht festgelegt ist. Wahlerfolge gegen die Medien Die PDS gehörte zu den Siegern, auch wenn die Prognosen, die sie in Brandenburg als stärkste Partei sahen, deutlich übertrieben waren. Allerdings ist damit über ihre Chancen, 2006 wieder in den Bundestag einzuziehen, noch nichts entschieden. Zu unklar ist die Ausgangslage. Sollte die in Gründung befindliche Wahlalternative [1] antreten, hat die PDS jetzt allerdings eine gestärkte Verhandlungsposition. Modelle, nach denen die Wahlalternative im Westen und die PDS im Osten antritt und die Stimmen dann durch eine Wahlkonstruktion zusammengeführt werden, dürften jetzt mehr Anhänger finden. In Sachsen konnte die PDS trotz einer besonders prekären Ausgangslage Stimmenzuwächse verzeichnen. Wenige Wochen vor der Wahl leistete sich die Partei eine Auseinandersetzung [2] mit der sächsischen Regionalpresse. Grund waren Meldungen über angebliche Stasikontakte des PDS-Spitzenkandidaten Peter Porsch. Der ging mit Unterlassungsverfügungen gegen alle Zeitungen vor, die darüber berichteten. Die Zeitungen sahen darin einen Zensurversuch und boykottierten fortan die Pressekonferenzen der PDS, die wiederum von einem "Erpressungsversuch ehemaliger SED-Zeitungen" sprach [3], was die Stimmung noch mehr anheizte. Der Stimmenzuwachs könnte als Indiz gedeutet werden, dass der Einfluss der Presse auf die politische Meinungsbildung überschätzt wird. Rechte im Trend Besonders aufmerksam hat man das Abschneiden der rechtsextremen Parteien in beiden Länderparlamenten beobachtet. Die Deutsche Volksunion war schon in der letzten Legislaturperiode im Landtag Brandenburgs vertreten, hat jetzt allerdings leicht zugelegt. Die NPD ist mit 9,2 % erstmals seit Ende der 60er Jahre wieder in einen Landtag eingezogen. Damals war sie allerdings in 7 westdeutschen Länderparlamenten vertreten. Parteienforscher gehen schon lange davon aus, dass die Wählerbasis rechtsextremer Parteien bei bis zu 15 % liegt. Doch meistens geht deren Klientel gar nicht erst zur Wahl, weil sie davon vermuten, dass die von ihnen favorisierte Partei nicht ins Parlament kommt. Haben sie aber den gegenteiligen Eindruck, gehen sie verstärkt zur Wahl. So könnten die ständigen Warnungen vor einen Einzug der Rechten ins Parlament diesen Prozess sogar noch verstärkt haben. Falls die Rechtsextremen jetzt stärker kooperieren, wofür es Anzeichen gibt, könnte ihr Wahlerfolg mehr als eine Eintagsfliege sein. Dazu könnten auch Reaktionen von CDU und SPD beitragen, die die Proteste gegen die Hartz-Reformen für die Stimmenzuwächse der Rechten verantwortlich machen. Ein weiterer Verlierer Die Anti-Hartzbewegung könnte zum weiteren Verlierer des Wahlsonntags gehören. Schließlich hat der Brandenburgische Ministerpräsident Platzeck seine Wahlergebnis so interpretiert, dass man voll hinter dem Kurs der Bundesregierung stehen und trotzdem Wahlen gewinnen kann. Bundeskanzler Schröder wird es mit Freude vernommen haben. Während vor zwei Wochen der Hartz-Kritiker Heiko Maas Stimmen verlor und der sächsische CDU-Ministerpräsident trotz seiner verbalen Streicheleinheiten für die Hartz-Proteste einbrach, hat Platzeck zumindest einen Achtungserfolg erzielt.
Links
[1] http://www.wahlalternative-asg.de/ [2] http://www.das-parlament.de/2004/38/Inland/005.html [3] http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/medien/?cnt=501152& |