ND 07.10.04Im Zweifel gegen Deutschland Die Hamburger Monatszeitung Konkret feierte zwei Mal Geburtstag
Von Peter Nowak Die Hamburger Monatszeitung Konkret ist immer wieder für Überraschungen gut. Obwohl sie 1997 ihr vierzigjähriges Jubiläum beging, feierte sie jetzt, sieben Jahre später, den dreißigsten Geburtstag. Die seltsame Verjüngungskur hat formal ihre Richtigkeit. Konkret war Mitte der 50er Jahre als Zeitschrift für Politik und Kultur gegründet worden und stand der damals illegalen KPD nahe. Sie wirkte bald nicht nur publizistisch. Als Anfang der 60er Jahre auch in Westdeutschland die Bewegung gegen Atomraketen an Bedeutung zunahm, waren Konkret-Autoren daran wesentlich beteiligt. Forderungen nach Anerkennung der DDR wurden erhoben, die auch in der Spätphase der Adenauer-Ära noch an Landesverrat grenzten. Unter den Atomwaffengegnern machte bald eine junge Journalistin von sich reden, die zehn Jahre später zur Staatsfeindin Nummer 1 avancieren sollte. Ulrike Meinhof prägte bis Ende der 60er mit ihren Kolumnen das politische Profil von Konkret. Die hatte sich zu dieser Zeit schon längst ideologisch und finanziell von der KPD abgenabelt. Der damalige Herausgeber Klaus-Rainer Röhl wollte mit Porno-Titelbildern und Sexstorys aus der Konkret eine Art linke Sankt-Pauli-Nachrichten machen. Der Versuch schlug fehl. Im November 1973 war die Zeitschrift pleite und musste Konkurs anmelden. Im Oktober 1974 erschien die nächste Ausgabe im Neuen Konkret Verlag. Herausgeber wurde mit Hermann Gremliza ein Journalist, der Jahre zuvor noch von Konkret einen Korb bekommen hatte. Ulrike Meinhof hatte den Abdruck eines Textes von ihm abgelehnt, weil sie ihn zu schulmeisterlich gefunden hatte. Gremliza findet den Text noch heute gut. Das ist nicht verwunderlich. Mangelndes Selbstvertrauen kann man dem Konkret-Herausgeber ebenso wenig vorwerfen wie fehlende Selbstironie. Eine Kostprobe davon konnte man in der Jubiläums-Konkret lesen. Konkret-Autoren und Interviewpartner hatten die Möglichkeit, Gremliza etwas zu fragen, was sie schon immer von ihm wissen wollten. Das Spektrum der Fragenden reichte von Norbert Blüm (CDU) über den heutigen Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt Karsten D. Voigt (SPD) bis zum Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne). Aus der DDR sind Hans Modrow und Hermann Kant vertreten. Während Modrow fast geschäftsmäßig wissen will, wie Konkret Fremdenhass und Antisemitismus in Europa entgegentreten will, fragt Jürgen Trittin nach einer Strickjacke, die Gremliza bei einer Veranstaltung vor 15 Jahren getragen hat. Bei den Antworten konnte sich der Konkret-Herausgeber einmal mehr als begabter Polemiker und Wortkünstler ausweisen. Schließlich wird er seit Jahren immer wieder mit Karl Kraus verglichen. Politische Beliebigkeit ist dem parteilosen Kommunisten Gremliza ein Gräuel. Nach mehr als 20-jähriger Mitgliedschaft trat er am 9. November 1989 aus der SPD aus. Das Datum war für Gremliza und Konkret eine Zäsur. Fortan wurde die Zeitschrift zum publizistischen Flaggschrift einer linken Strömung, die sich Adornos Diktum, »Deutschland denken heißt Auschwitz denken« zum Leitmotiv erkoren hatte. Wichtige Debatten über den Antisemitismus auch in der Linken und verkürzte Kapitalismuskritik wurden von Konkret angestoßen. Zum linken Mainstream wollte Gremliza nie gehören. »Im Zweifel gegen Deutschland« wird das Leitmotto von Konkret bleiben, solange Gremliza der Herausgeber ist. Die Nachfolgerfrage ist in der Hamburger Ruhrstraße allerdings völlig ungeklärt. Konkret ohne Gremliza ist fast so schwer vorstellbar, wie Kuba ohne Fidel Castro. |