ND 22.10.04Nachbaugebühr« für Saatgut Proteste auf Konferenz über Hunger und Agrarhandel in Berlin
Von Peter Nowak Von Protesten wurde in dieser Woche eine Konferenz in Berlin über Agrarhandel und den weltweiten Hunger begleitet. Nervosität herrschte Mittwochnachmittag am Eingang des Bundeswirtschaftsministeriums in Berlin-Mitte. Sogar Journalisten wurde der Zutritt verweigert. »Nur noch geladene Gäste haben Einlass«, hieß es lapidar bei der Anmeldung. Denn mittlerweile hatte sich herumgesprochen, dass die internationale Tagung »Politik gegen Hunger - Liberalisierung des Agrarhandels eine Lösung?« nicht ohne Proteste über die Bühne gehen wird. Dabei wollte sich Rot-Grün auf dieser dreitägigen Tagung selbst feiern. Rund 250 Teilnehmer aus über 70 Ländern waren nach Berlin gekommen, darunter aus Brasilien und Kolumbien, Ghana und Kenia. Ziel der dreitägigen Konferenz, die heute zu Ende geht, ist es, Empfehlungen für die Agrarverhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) zu erstellen. Bei der Eröffnung versuchte Bundesverbraucherministerin Renate Künast (Grüne) gleich alle Widersprüche zwischen den Teilnehmern wegzureden. Zwar räumte sie zunächst ein, dass die Handelsliberalisierung als Mittel zur Beseitigung von Armut und Unterernährung in der Dritten Welt nicht unumstritten sei, doch mit der Kritik wollte sie sich nicht lange aufhalten. »Politik, Wissenschaft und der größte Teil der Nichtregierungsorganisationen sind sich inzwischen einig, dass ein freier Handel anzustreben ist, der durch nationale und internationale soziale und ökologische Regeln flankiert« werde. Auf dem Weg dahin sei ein »differenziertes Vorgehen erforderlich«, das insbesondere auf die Entwicklungsländer Rücksicht nimmt, betonte Künast. Besonderes Augenmerk legte die Ministerin auf eine Neuorientierung der EU-Agrarpolitik nach dem Vorbild der von ihr eingeleiteten Agrarwende in Deutschland. Alle Einlasskontrollen konnten nicht verhindern, dass die Rede von Künast abrupt unterbrochen wurde. Denn unter die geladenen Gäste hatten sich Aktivisten der »Kampagne gegen Biopiraterie« gemischt. Sie protestierten gegen die Erhebung von Nachbaugebühren, eine außerhalb des Agrarbereichs wenig bekannte Bestimmung. Das von der Bundesregierung verabschiedete Sortenschutzgesetz legt fest, dass Landwirte diese Gebühren zahlen müssen, wenn sie Teile ihrer eigenen Ernte im nächsten Jahr wieder aussäen wollen. »Mit diesen Nachbaugebühren wird das uralte Recht der Bauern, über ihre eigene Ernte frei zu verfügen, abgeschafft«, erklärte Ulrike Eder von der Kampagne. Mittlerweile hat das Gesetz auch unter den Landwirten Protest hervorgerufen. »Mehr als 2500 Landwirte sind schon verklagt worden, weil sie Auskünfte verweigern, die für die Erhebung der Gebühren notwendig sind«, erläutert Eder. Sie übergab Künast zahlreiche Postkarten mit Selbstanzeigen. Dort erklärten Landwirte, dass sie demonstrativ Getreide aussäen, ohne die Nachbaugebühren zu zahlen. Zu einer Stellungnahme war Künast nach den Protesten nicht bereit. Auch während der Konferenz selbst kamen Globalisierungskritiker zu Wort. Nord-Süd-Aktivist Walden Bello rechnete vor, dass die Agrarsubventionen der 30 Industrie- und Schwellenländer in der OECD nicht fielen, sondern anstiegen: von 182 Milliarden US-Dollar 1995 auf 318 Milliarden in 2002. Bello spricht von einer »monopolistischen Konkurrenz« zwischen den Handelsmächten EU und USA. Das Juli-Abkommen der WTO schreibe diesen Zustand fort. |