Telepolis13.10.2004 Sieg des Rechtsstaats oder des Stammtisches?
Peter Nowak Der "Kalif von Köln" wurde gestern schnell in die Türkei abgeschoben "Ein Flug an das sonnige Mittelmeer wird es sicher nicht", meinte der Nachrichtensprecher süffisant, während Bilder der am Dienstagabend vom Kölner Flughafen startenden Chartermaschine gezeigt wurde, die Metin Kaplan in die Türkei brachte. Nur wenige Stunden zuvor war er in einem Kölner Internetcafe festgenommen worden. Seine Abschiebung wurde damit begründet, dass er eine "Identifikationsfigur für den islamistischen Terrorismus" darstelle.Die deutschen Behörden hatten es dieses Mal besonders eilig, den schon seit Jahren in den Schlagzeilen [1] stehenden ehemaligen Gründer des islamistischen Kalifstaates loszuwerden. Zu gut in Erinnerung ist noch die Schlappe der Sicherheitsbehörden von Ende Mai. Damals war auch gerade ein Urteil erlassen worden, das seine Abschiebung ermöglichte. Doch Kaplan war nicht in seiner Wohnung, als ihn die Polizei abschieben wollte. Die Boulevardpresse schäumte vor Wut und meldete wahrheitswidrig, Kaplan sei untergetaucht. Doch der hatte er alle Meldeauflagen erfüllt und Köln nie verlassen ( Die Stunde der Populisten [2]l). Wenige Tage später genoss Kaplan wieder Abschiebeschutz. Ein Gericht hatte die Beschwerde seiner Anwälte angenommen und das Urteil aufgehoben. Jetzt wollte man nicht noch einmal riskieren, dass eine erneute Gerichtsentscheidung die Abschiebung abermals verhindert. Schily gibt sich wohl mit Recht überzeugt, dass Kaplan nicht nach Deutschland zurück kehren wird. Theoretisch kann er von der Türkei aus Widerspruch gegen seine Abschiebung einlegen. Praktisch wird diese Möglichkeit wohl kaum Relevanz haben. Denn Kaplan ist erwartungsgemäß sofort nach seiner Ankunft in der Türkei festgenommen worden. Die Türkei wirft ihm vor, einen Mordanschlag geplant zu haben. Auch das unterscheidet den Fall Kaplan von dem des mehrmals straffällig gewordenen Jugendlichen Mehmet fehl, der nach einer vergleichbaren Erregung von Stammtisch und Boulevard abgeschoben wurde, in der Türkei aber auf freiem Fuß blieb und später wieder zurück nach Deutschland kam, als ein Gericht schließlich seine Abschiebung für unrechtmäßig erklärte. Schily hat Kaplans Abschiebung emphatisch zu einem "guten Sieg der wehrhaften Demokratie" verklärt. Dabei hat selbst er nicht behauptet, dass von dem seit Jahren dauerüberwachten Kaplan heute noch eine Gefahr für die Sicherheit Deutschlands ausgehe. Auch in den türkischen Medien war sein operettenhafter "Kalifstaat" eher Gegenstand von Spott als von Beunruhigung. In seiner 2001 verbotenen Organisation hetzte er gegen Juden, den türkischen und den israelischen Staat. Er strebte einen islamischen Gottesstaates in der Türkei an. 2000 war Kaplan wegen des öffentlichen Aufrufs zu einer Straftat an seinen Rivalen, der dann auch von Unbekannten umgebracht wurde, zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Die Ausweisung war wohl vor allem eine symbolische Aktion, die über die Person Kaplans hinausgeht. Schließlich erklärte Schily unmissverständlich, Verfassungsfeinde hätten jetzt verstanden, dass sie in Deutschland nichts zu suchen hätten. Das könnte auch als Drohung für manche linke türkische und kurdische Flüchtlinge verstanden werden, die bisher noch in Deutschland geduldet werden. Außerdem wollte die Regierung deutlich machen, dass sie den Kampf um die Oberhoheit an den Stammtischen mit der konservativen Opposition durchaus aufnehmen kann. Schließlich hatten führende CDU/CSU-Politiker am Wochenende erwogen, die deutsche Bevölkerung über einen EU-Beitritt der Türkei befragen zu wollen. Der frühere linke Staranwalt Schily machte deutlich, dass er die Kritik des Boulevards und des Stammtisch an dem zeitraubenden und kostspieligen Gerichtsverfahren sehr wohl verstehe und auch teile. Das neue Zuwanderungsgesetz werde hier Abhilfe schaffen, so Schily. Dort sind wesentlich kürzere Instanzenwege vorgesehen. Ob damit die Rechtsstaatlichkeit für die Betroffenen gewahrt bleibt, wird allerdings kaum gefragt. Dabei wurde auch am Wochenende wieder einmal deutlich, wie schnell eine islamistische Gefahr in diesen Tagen konstruiert werden kann. Vor über drei Monaten wurde unter großen Medienecho eine die Taqwa-Moschee in Frankfurt/Main wegen eines angeblichen Vertriebs gewaltverherrlichender Schriften und Filme polizeilich durchsucht ( "Durchsuchung bei Unverdächtigen" [3]). Jetzt gaben Polizei und Staatsanwaltschaft Entwarnung. Man habe bei den Ermittlungen nichts Belastendes entdecken können. Das war für die Medien, wenn überhaupt, eine Meldung auf den Regionalseiten [4] wert.
Links
[1] http://www.faz.net/s/Rub28FC768942F34C5B8297CC6E16FFC8B4/Doc~E9E6A8A86D1 C24136BE56FC8B44A37BE6~ATpl~Ecommon~Scontent.html [2] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/mein/17559/1.html [3] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/17868/1.html [4] http://www.fr-aktuell.de/ressorts/frankfurt_und_hessen/frankfurt/?cnt=46 1804 |