Frankfurter Rundschau vom 23.6.04Deutsche treten in Genua als Kläger auf
Globalisierungskritiker reisen zum Prozess gegen Polizisten, die Protestierer verprügelt haben sollen Am Samstag beginnt in Genua der Prozess gegen 29 italienische Polizeioffiziere, die während des G8-Gipfels 2001 in der Diaz-Schule Globalisierungskritiker brutal zusammengeschlagen haben sollen. Rund 25 deutsche Opfer treten als Nebenkläger auf. VON PETER NOWAK Berlin · 22. Juni · Die Nacht zum 22. Juli 2001 wird Steffen Sibler wohl nie vergessen. Der Berliner Politologiestudent war in Genua, um gegen den G8-Gipfel zu protestieren. Er war einer von 93 Menschen aus mehreren Ländern, die in der Nacht von der italienischen Polizei unsanft aus dem Schlaf gerissen wurden. Die Bilder von Polizisten, die in Schlafsäcken liegende Menschen schlugen und traten, gingen um die Welt. Am Samstag wird Sibler in einer Delegation von 25 Deutschen, die in der Diaz-Schule erst verprügelt und dann festgenommen wurden, wieder nach Genua reisen "Wir sind nicht hier als Opfer, wie vor drei Jahren, sondern als Ankläger", schreiben die Teilnehmer der Delegation in einer Erklärung, die sie am Dienstag im Berliner Abgeordnetenhaus der Presse vorstellten. Sie treten als Nebenkläger im Verfahren gegen 29 leitende Polizisten und Beamte auf, die für den Überfall auf die schlafenden Demonstranten verantwortlich gemacht werden. Die Eröffnung des Prozesses bezeichnet die Berliner Rechtsanwältin Eva Lindenmaier, die mehrere der Opfer vertritt, als "Etappensieg". Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen hätten die Version der Polizei gründlich widerlegt. Polizisten hatten behauptet, aus der Schule mit Steinen beworfen zu sein. Außerdem seien zwei Brandsätze im Gebäude gefunden worden. Beide Behauptungen wurden nach Darstellung der Anwältin widerlegt: Es sei nachgewiesen worden, dass die beiden Molotow-Cocktails von Polizisten in die Schule geschmuggelt worden seien. Sie sollten die Demonstranten in die Nähe des gewaltbereiten "Schwarzen Block" rücken, den die italienische Regierung für die Ausschreitungen am Rande der friedlichen Proteste gegen den G8-Gipfel verantwortlich machte. Lindenmaier hält es für völlig offen, ob und wann es zu einer Verurteilung der Polizisten kommt. Es gebe Erfahrungen, dass die italienische Justiz solche Verfahren auf bis zu sieben Jahren verzögere. Unter den Verteidigern der angeklagten Polizisten seien zwei Abgeordnete von Parteien, die zur italienischen Regierungskoalition gehören: "Das zeigt die politische Brisanz, die das Verfahren hat", so Lindenmaier. Auf der juristischen Tagesordnung stehen die Proteste gegen den Gipfel von Genua auch in Prozessen gegen Globalisierungskritiker aus Deutschland und Österreich. Gegen rund 50 von ihnen soll demnächst die Anklageschrift fertig sein. Sie werden des italienischen Äquivalents zum Landfriedensbruch beschuldigt. Die Angeklagten haben, so Lindenmaier, nur 21 Tage Zeit für einen Widerspruch. In dieser Zeit müssen Akten übersetzt und durchgearbeitet werden. Zudem gelte gegen die meisten der Beschuldigten ein Einreiseverbot nach Italien. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Volker Ratzmann, sieht daher Reformbedarf bei der grenzüberschreitenden Strafverfolgung. Um ein Szenario zu verhindern, das Lindenmaier so beschreibt: In Italien wird ein Beschuldigter in Abwesenheit zu langer Haft verurteilt, erfährt davon aber erst, wenn er mit einem europäischen Haftbefehl festgenommen wird. |