Telepolis vom 4.3.04"Ich will für etwas sein/ich will schwarz-grün!"
Peter Nowak Das ex-alternative Milieu strebt zu neuen Ufern Die Hamburger Senatswahl hat neben der CDU die Grünen als zweiten Sieger hervorgebracht. Das liegt nicht an den für Hamburger Verhältnisse nicht besonders berauschenden Prozenten, schon eher daran, dass vor dem Hamburger Urnengang erstmals breit über die Option eines rot-schwarzen Regierungsbündnisse debattiert wurde. Zwar gab es schon immer Befürworter einer Zusammenarbeit mit der CDU bei den Grünen. In vielen Kommunalparlamenten arbeiten schwarz-grüne Bündnisse auch seit Jahren. Doch bisher wurden dafür immer wahlarithmetische Gründe angeführt. Wenn die eben die Wahlergebnisse nichts anderes hergeben, muss man eben auch diese Bündnisse schließen. Das hat sich jetzt geändert. Zeitgleich zur Hamburger Wahl veröffentliche die Berliner Tageszeitung gleich zwei längere Beiträge, die in einem schwarz-grünen Bündnis geradezu eine neue Sinnstiftung sehen wollen. Vor zehn Jahren adelte die grüne Realofraktion die damals parteiintern noch heftig umstrittenen Bündnisse mit der SPD als historische Verbrüderung zwischen alter Arbeiterbewegung und neuer sozialer Bewegung. In der konkreten Regierungsarbeit ist es damit schnell ruhiger geworden, was manchen Leitartikler die Klage anstimmen ließ, der Regierung fehle es an einem historischen Projekt. Ausgerechnet schwarz-grün soll jetzt neuen Sinn geben. Nicht mehr eine Veränderung der Gesellschaft, auf die sich Fischer und Co zumindest immer noch bezogen haben , wird angestrebt. Ganz im Gegenteil: Schwarz waren die finsteren rechten Elterngestalten. Grün war eine rebellische, linke Generation. Heute bricht die alte Polarität rechts/links auf. Die Rebellen sehnen sich nach Geborgenheit. Und Schwarz-Grün enthält die unerhörte Idee einer Versöhnung, die das ödipale Konfliktschema des Familendramas Deutschlands außer Kraft setzen könnte. so der Soziologe und Forschungsanalytiker Christian Schneider am Wochenende in seinem taz-Artikel [1]. Die Überschrift bringt es einfacher auf dem Punkt: Ich habe es satt gegen etwas sein zu müssen/ich will für etwas sein/ich will schwarz-grün. Man könnte es allerdings auch materialistischer formulierten. Die ergrauten Bürgerkinder, die das Erbe ihrer Eltern längst aufgeteilt haben, fürchten heute um die Sicherheit ihrer Aktien- und Rentendepots. Doch von ökonomischen Interessen wollen Sinnstifter nie gerne reden. Lieber flüchten sie sich ins Nationale. "Nichtsdestotrotz: Schwarzgrün, die heimliche politische Traumkonstellation der Deutschen, wird kommen", ist sich Schneider so sicher wie der Soziologe Heinz Bude. Der Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung [2] lässt sich in einem mehrseitigen Interview [3] über den neuen Konservativismus jener Generation aus, die altersmäßig nicht mehr zur APO-Generation zählt, aber von ihr beeinflusst wurden. Auch bei Bude darf der nationale Bezug nicht fehlen: Die Krise von Rotgrün ist offensichtlich, die Unterstützung für ihre Reformpolitik erodiert. Die Deutschen wollen ihre Ruhe. So diagnostiziert Bude ausgerechnet zu einer Zeit, in der erstmals seit Jahren Studierende, Erwerbslose und Gewerkschaftler für ihre Interessen auf die Straße gehen. Dass es gerade die Angst vor diesen ganz neuen sozialen Bewegungen sein könnte, die den einst alternativen Mittelstand in die Arme einer schwarzroten Liaison treiben könnte, wagt Bude nicht mal zu denken. Formuliert werden statt dessen Wortungetüme wie "Reduktion von Individualtransfers" oder die "neue Ernsthaftigkeit der Familienfrage". Doch an manchen Stellen des Interview kommt Bude auf den Punkt. So stellt bedauernd fest, dass seine Generation schon am Ruder ist: Nur in der CDU. Meine Generation bestimmt im Augenblick die Union. Merkel, Merz, Koch. Joschka Fischer, das einstige Idol aller grünen Realos, wird von Bude fast zum neue Feindbild stilisiert: Fischer geht uns auf die Nerven mit seinem Gefühl historischer Bedeutung. Da wird zu viel nach hinten gedeutet und zu wenig nach vorne gelebt. Ob ein Grund für diese Aversionen in Fischers kürzlich bekräftigenden Bekenntnis zur politischen Linken liegt? Es war ebenfalls in der Taz [4] erschienen.
Links
[1] http://www.taz.de/pt/2004/02/28/a0200.nf/text [2] http://www.his-online.de/ [3] http://www.taz.de/pt/2004/02/28.nf/magText.tname,a0344.re,do.idx,0 [4] http://www.taz.de/pt/2004/02/21/a0158.nf/text |