ND 27.09.04Haftbefehl für den Rechtsstaat Der europäische Rechtsraum nimmt Gestalt an - Freiheitsrechte könnten auf der Strecke bleiben
Von Peter Nowak Für Sicherheitspolitiker ist er notwendige Voraussetzung eines gemeinsamen Rechtsraumes, für Kritiker ist er in der geplanten Form ein Angriff auf zivilisatorische Werte - der »Europäische Haftbefehl«. Es war schwere juristische Kost, die den über 60 Zuhörern am Freitagabend im Berliner Haus der Demokratie geboten wurde. Doch die Berliner Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf bemühte sich ebenso wie ihr Münchner Kollege Wolfgang Bendler um eine auch dem juristischen Laien verständliche Sprache. Schließlich handelt es sich beim EU-weit geplanten »Europäischen Haftbefehl« um ein Thema, dass nicht nur Juristen angeht. Im Zuge des Zusammenwachsens Europas laufen die Bemühungen um die Schaffung eines europäischen Rechtsraumes auf Hochtouren. In vielen Bereichen ist damit ein Rückschritt für den Rechtsstaat verbunden. Darauf wies Wolfgang Bendler in seinem Vortrag hin. So könnte die Einführung des Europäischen Haftbefehls nicht nur mit Bestimmungen der UNO-Menschenrechtkonvention kollidieren, sondern auch das Recht auf politisches Asyl unterminieren. Die juristische Kategorie des »politischen Delikts« als Hemmnis für eine Auslieferung soll es in Zukunft im Europäischen Rechtsraum nicht mehr geben. Schließlich gehe man in Europa von den gleichen Werten aus und habe daher auch das Vertrauen in die Rechtssicherheit aller Partnerstaaten. Davon träumen die Sicherheitspolitiker aller EU-Länder schon seit Jahren. Doch bisher gab es noch immer Juristen, die Berichte von Folter auf spanischen Polizeiwachen ernst nahmen. So lehnte ein französisches Gericht vor einigen Monaten die von der spanischen Justiz geforderte Auslieferung eines Basken ab. Die spanischen Behörden hatten nicht entkräften können, dass die belastenden Aussagen, die dem Auslieferungsbegehren zu Grunde lagen, durch Folter erpresst worden sind. In Zukunft aber wird es solche Urteile nicht mehr geben. Denn im Rahmen des Europäischen Haftbefehls ist eine Prüfung der Auslieferungsgründe ausdrücklich nicht vorgesehen. Damit wird beispielsweise die Lesart des spanischen Staates, dass die baskische Unabhängigkeitsbewegung terroristisch sei, in ganz Europa übernommen. Auch für türkische Oppositionelle im europäischen Rechtsraum außerhalb der türkischen Grenzen könnten in Zukunft schwerere Zeiten anbrechen. Schon vor einer Entscheidung über die Aufnahme von EU-Verhandlungen mit dem Land am Bosporus läuft die Kooperation auf juristischer Ebene an. So hat die niederländische Justiz ein Asyl für Nuriye Kesbir abgelehnt, obwohl sich das Mitglied des Exekutivrates des kurdischen Volkskongresses Kongra-Gel für eine friedliche Lösung des Nationalitätenkonfliktes eingesetzt hat. Schon vor der Einführung des Europäischen Haftbefehls funktionierte der Europäische Rechtsraum oft nur um den Preis der Beschneidung von Grundrechten. Das machten die Juristen Schlagenhauf und Bendler am Freitagabend an zwei aktuellen Fällen deutlich. Die Berliner Sprachlehrerin Gabriele Kanze wurde bei einer Reise nach Italien an der Schweizer Grenze festgenommen und kurze Zeit später nach Spanien ausgeliefert. Ihr wird von den spanischen Behörden Unterstützung der ETA durch die Anmietung von Wohnungen vorgeworfen. Dass die Beschuldigungen unter Folter entstanden sein sollen, wurde bei dem Auslieferungsverfahren nicht berücksichtigt, wie Kanzes Anwältin Petra Schlagenhauf erläuterte. Der Prozess gegen Kanze beginnt am 29.November in Madrid. Um ein faires Verfahren zu ermöglichen, soll auch eine internationale Beobachterdelegation an dem Prozess teilnehmen. Auch bei der Auslieferung von Paolo Elkoro von Deutschland nach Spanien Anfang 2004 blieben die Vorwürfe, dass die belastenden Aussagen nur unter Folter zu Stande gekommen seien, unberücksichtigt. Sein Verfahren beginnt am 13.Oktober und ist auf drei Verhandlungstage terminiert. |