Telepolis08.12.2004"Nicht mit unseren Jungs" Peter Nowak
Die merkwürdige Schieflage bei der Diskussion um Folter bei der Bundeswehr In der letzten Wochen machte das Thema "Folter bei der Bundeswehr" [1] in allen Medien die Runde (Folter in Coesfeld? [2]). Am Wochenende hatte auch das österreichische Nachbarland einen Folterskandal [3] bei ihrem Militär. Viel wird darüber diskutiert, warum die Soldaten denn nicht früher an die Öffentlichkeit gegangen sind und warum sie die Art der Behandlung wohl nicht als Skandal sondern als Normalfall bei der Bundeswehr hingenommen haben. Doch die Frage müsste eigentlich anders lauten: Warum wird eigentlich jetzt etwas zum Skandal, was zumindest für Kenner der Bundeswehr eher Normalität als Einzelfall war. So wies die kritische Soldatenvereinigung Darmstädter Appell [4] darauf hin, dass von den jetzt als Folter deklarierten Tatbeständen nicht nur die Betroffenen, sondern auch Hunderte von Soldaten wussten [5]. Es sei "Gesprächsstoff von Kantinen und Gemeinschaftsräumen" gewesen. Harte Männer müssen halt geschliffen werden. Das gehörte nicht nur bei vielen Ausbildern, sondern auch bei vielen Rekruten zur Normalität. Wer sich eine solche Behandlung verbat, wurde schnell als Muttersöhnchen oder Warmduscher ausgegrenzt. Die Konsequenzen für solche "Nestbeschmutzer" konnten besonders bitter sein. Denn schlimmer als strenge Vorgesetzte können mobbende Kameraden sein. Deshalb haben viele sensible junge Männer möglichst einen weiten Bogen um die Bundeswehr gemacht und den Kriegsdienst verweigert. Warum also auf einmal die Medienöffentlichkeit? Sicherlich haben die aktuellen Folterdebatten von Abu Ghraib bis zum Fall Daschner mit dazu beigetragen. Doch wie beim Fall Daschner ist auch bei den Foltervorwürfen bei der Bundeswehr noch längst nicht klar, wer von der Debatte profitieren wird (Rechtsstaat contra Volkszorn [6]). Schließlich ist die Zukunft der Bundeswehr heftig umstritten. Die Wehrpflicht wird zur Disposition gestellt und eine Freiwilligenarmee findet zunehmend Unterstützung. Die aktuelle Folterdebatte könnte den Befürwortern Rückenwind geben. Schließlich hat sie eine merkwürdige Schieflage. Es wird nicht gesagt, diese Behandlung ist menschenunwürdig, immer und überall. Es wird vielmehr erklärt, für wehrpflichtige Rekruten sei eine solche Behandlung nicht akzeptabel. Eine klare Steilvorlage also für die Befürworter einer Freiwilligenarmee. Hinzu kommen die als Entschuldigung gemeinten Aussagen, die Vorgesetzen haben möglichst einsatznah ausbilden wollen und hätten dabei eben die Zustände in Afghanistan und anderen potentiellen Einsatzzielen von Soldaten im Auge gehabt. Der als Folterer gebrandmarkte Ausbilder in Österreich soll gerade als Ausbilder von Ausbildern tätig sein. Nun gibt es aber kaum kritische Fragen, wie denn wohl die Behandlung mit tatsächlichen oder vermeintlichen Störern dieser Auslandseinsätze aussieht, wenn zu einer einsatznahen Ausbildung Stromstöße und ähnliches gehören sollen. Nur "unsere Jungs" sollen doch bitte nicht so behandelt werden. Das allerdings ist der wahre Skandal der Debatte. Es gibt scheinbar wieder Menschen und "auch Menschen". Was gegenüber einem deutschen Wehrpflichtigen als Folter gebrandmarkt wird, kann für einen Afghanen als notwendige harte Maßnahme toleriert werden. Die Menschenrechte wären wieder teilbar, Folter würde Verhandlungssache. Dann wären wir aber wieder in der Gedankenwelt des Kolonialismus [7]. Man konnte in den Kolonien möglichst unbemerkt von der Öffentlichkeit, die es mehrheitlich aber auch nicht so genau wissen wollte, all jene scheußlichen Methoden anwenden, gegen die man sich im zivilisierten Mutterland mit allen Mitteln distanziert hätte. Frankreich und der Algerienkrieg [8] waren dafür ein gutes Beispiel (Kino oder Wirklichkeit? [9]). Manche Intellektuellen sahen im Faschismus eine Heimholung der Methoden aus den Kolonien ins europäische Mutterland. Um so hellhöriger muss man werden, wenn man wieder dazu übergeht, bestimmte Methoden, die man hier als Folter denunziert, auf anderen Kontinenten zumindest zu tolerieren, wenn nicht gar zu fordern.
LINKS
[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,329709,00.html [2] http://www.telepolis.de/r4/artikel/18/18896/1.html [3] http://www.heute.t-online.de/ZDFheute/artikel/18/0,1367,POL-0-2232082,00 .html [4] http://www.darmstaedter-signal.de/ [5] http://www.darmstaedter-signal.de/aktuell/041122-coesfeld.php [6] http://www.telepolis.de/r4/artikel/18/18830/1.html [7] http://www.taz.de/pt/2004/11/12.nf/mondeIndex [8] http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2000/50/14a.htm [9] http://www.telepolis.de/r4/artikel/17/17510/1.html |