ND 19/20.Juni 2004Mogelpackung für Behinderte?
Prof. Eckhard Rohrmann über die geplante Reform des Betreuungsrechts In den Bundesparlamenten wird derzeit über ein neues Betreuungsrecht beraten. Das soll regeln, wenn ein Behinderter seine Angelegenheiten nicht mehr vollständig regeln kann. Warum diese Reform? Dies ist vor dem Hintergrund der gescheiterten Reform von 1992 zu sehen. Damals wurde das noch aus der Kaiserzeit stammende Vormundschaftsrecht abgeschafft. Anstelle von Entmündigung sollte nun die Betreuung im Mittelpunkt stehen. Doch die Ziele des Gesetzes wurden nicht erreicht. Die Anzahl der Betreuten hat sich in den letzten zehn Jahren ebenso verdoppelt wie die der Zwangsmaßnahmen. Worauf ist das zurückzuführen? Der Übergang von der Entmündigung zur Betreuung hat die Bereitschaft zur Verordnung von Zwangsmaßnahmen erhöht. Bemerkenswert ist deren unterschiedliche Verteilung auf die einzelnen Bundesländer. In Bayern gibt es doppelt so viele Heim-Unterbringungen wie in anderen Bundesländern. Am niedrigsten ist die Rate in den neuen Bundesländern. Das legt den Schluss nahe, dass es nicht von objektiven medizinischen Befunden, sondern von der Bereitschaft der vom Gericht eingesetzten Betreuer abhängt, ob Zwangsmaßnahmen erlassen werden. Was will die geplante Reformdaran ändern? Künftig soll gegen den freien Willen des Betroffenen keine Betreuung möglich sein.Ist das nicht ein Fortschritt? Das hört sich tatsächlich fortschrittlich an, ist aber in Wirklichkeit eine .Mogelpackung. Da weiterhin zwischen dem freien und dem natürlichen Willen der Betroffenen unterschieden wird, kann nach wie vor eine zwangsweise Betreuung erfolgen, wenn ein Gutachter bei einer Person mangelnde Einsichtsfähigkeit konstatiert. Die Bereitschaft dazu ist stark angestiegen Welche Alternativen schlagen Sie vor? Die Alternative muss kurz und knapp lauten, dass niemand gegen seinen erklärten Willen unter Vormundschaft gestellt werden kann. Nur dann ist ein Missbrauch ausgeschlossen. Haben die im Bundestag vertretenen Parteien unterschiedliche Konzepte bei der Reform des Betreuungsrechts? Die Initiative zur Reform ging parteiübergreifend von den Ländern Bayern und Nordrhein-Westfalen aus. Ihnen geht es eindeutig um die Einsparung von Kosten. Andere Aspekte werden von den Politikern kaum angesprochen. Lediglich die beiden Bundestagsabgeordneten der PDS haben erkennen lassen, dass sie ein Betreuungsrecht ohne Zwang anstreben. Besteht nicht die Gefahr, dass man mit der Forderung nach Abbau der Heimbehandlung Sozialkürzungen unterstützt? Es ist problematisch, mit Kostengründen zu argumentieren, wenn es um die Rechte der betroffenen Menschen geht. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass die überwiegende Mehrheit der Eingliederungshilfen für Behinderte noch immer in die stationäre Behandlung gehen. Dabei sollte nach dem Willen des Gesetzgebers die ambulante Behandlung Vorrang haben. Diese hat den Vorteil, die Rechte der Betroffenen zu stärken und gleichzeitig wesentlich billiger zu sein. Machen es andere Länder besser? In Schweden ist die stationäre Unterbringung gegen den Willen der Betroffenen seit dem Jahr 2000 gesetzlich verboten. Probleme können deshalb nicht mehr durch das Wegsperren von Menschen verdrängt werden. Man muss sie vielmehr mit den Betroffenen vor Ort lösen. Fragen: Peter Nowak |