ND 03.08.04Im Osten viel Neues Die Antiglobalisierungsbewegung entdeckt den Balkan Von Peter Nowak, Belgrad
Der kleine Belgrader Vorort Jajinci war Ende Juli Schauplatz einer ungewöhnlichen Veranstaltung. Globalisierungskritiker aus vielen europäischen Ländern trafen sich dort. Das Netzwerk Peoples' Globale Action (PGA) hatte dazu eingeladen. Der Blick in den Osten kann den Realitätssinn schärfen: »Wir mussten über unseren Tellerrand schauen und erkennen, dass die Fragen, mit denen wir uns bisher beschäftigt haben, oft sehr mittelstandsorientiert waren«, bekannte eine Teilnehmerin des Treffens in Jajinci offen. Sie sprach für viele, dabei war die Wahl des kleinen Belgrader Vorortes für das dritte europäische Forum des globalisierungskritischen Netzwerks anfangs durchaus nicht unumstritten. Eine Woche waren die Schule und der Sportplatz des Ortes fest in der Hand der Internationalisten. Die Bewohner verfolgten das Geschehen interessiert aus der Distanz. Die Jugendlichen des Ortes suchten direkteren Kontakt. Manche waren einfach neugierig auf das ungewohnte rege Treiben. Doch manche kamen auch mit unfriedlichen Absichten. So wurde im Ort das Gerücht gestreut, dass sich Kroaten auf dem Gelände des PGA-Camps aufhielten. Das wurde von einigen Jugendlichen zum Anlass genommen, nationalistische Parolen zu rufen. Dass in Zeiten der wirtschaftlichen und politischen Stagnation, in der sich Serbien zur Zeit befindet, rechte Parolen auf fruchtbaren Boden fallen, konnte man auch in Jajinci an den Häuserwänden lesen. Mehrere rechte Jugendgruppen haben sich dort mit dem Gruppennamen und teilweise auch mit Keltenkreuzen verewigt. Für die junge globalisierungskritische Bewegung, die das europäische PGA-Treffen organisierte, sind der Rechtsruck und der Nationalismus in der serbischen Gesellschaft ein reales Problem. Doch sie sieht Lösungsansätze in erster Linie im Zusammenhang mit der sozialen Frage. Die nahm auf dem PGA-Treffen breiten Raum ein. Solidaritätsaktionen mit den streikenden Arbeitern einer Kupfermine und mit Beschäftigten eines Belgrader Elektrizitätswerkes gehörten zum PGA-Programm. »Sie kämpfen gegen die Privatisierung ihrer Betriebe. Wir als Globalisierungsgegner wenden uns ebenfalls gegen die neoliberale Politik der Privatisierung aller Lebensbereiche«, erklärte ein PGA-Sprecher. Doch auch die anderen Probleme im heutigen Jugoslawien wurden auf der Konferenz zur Sprache gebracht. Eine Roma-Siedlung wurde ebenso besucht wie ein vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR verwaltetes Camp, in dem serbische Flüchtlinge aus der Provinz Kosovo unter ärmlichen Bedingungen leben müssen. Die Menschen beklagen, dass sie von der internationalen Öffentlichkeit vergessen wurden. Das konnten viele europäische PGA-Aktivisten nur bestätigen. Sie waren über die Existenz so vieler serbischer Flüchtlinge erstaunt. Schließlich haben sie in den europäischen und speziell den deutschen Medien kaum eine Lobby. Serben werden dort in der Regel als Verursacher von Kriegen und Vertreibungen hingestellt. Für Serben als Opfer von Gewalt ist in diesem Schema wenig Platz. »Eine politische Konferenz in Jugoslawien ist eine gute Bildungsreise«, meinte ein PGA-Aktivist aus Deutschland. Natürlich spielten die Lieblingsthemen der westeuropäischen PGA- Aktivisten auch in Belgrad eine große Rolle. So sprach ein Londoner Ökologe von dem zunehmenden Kampf gegen den Autoverkehr in der City als Beitrag zur »Rettung unseres Planeten«. Er propagierte die Aktionsform »Reclaim the Street« (Rückeroberung der Straße), bei der feiernde Menschen oder Radfahrer wichtige Verkehrswege lahm legen. Aktivisten aus Spanien stellten unter viel Applaus die neue Aktionsform »Yomango« vor. Dabei handelt es sich um eine Aneignung von Waren mit politischem Hintergrund. In einem Warenhaus wird eine Party inszeniert, in deren Verlauf die Waren unter Feiernden und Zuschauern verteilt werden. Die Aktionsform fand in Spanien viel Zuspruch und hatte zu Pfingsten 2004 bei der Bundeskoordination Internationalismus (Buko) in Kassel Deutschlandpremiere. Auch in Belgrad war die Zustimmung dazu groß. Die Nahost-Debatte wurde hingegen überwiegend unter den deutschen Konferenzteilnehmern geführt. Allerdings beteiligten sich an einer spontan einberufenen Arbeitsgruppe zum Antisemitismus auch Teilnehmer aus anderen Ländern. »Dort mussten wir uns dann mit dem Argument auseinander setzen, dass es einen arabischen Antisemitismus schon deshalb nicht geben könne, weil die Araber selber Semiten seien«, berichte ein Berliner Aktivist ernüchtert. Das macht deutlich, dass zumindest diese Debatte auf internationaler Ebene noch in den Anfängen steckt und von beiden Seiten mit vielen Emotionen geführt wird. Doch in vielen anderen Fragen gab es mehr Gemeinsamkeiten, die sich auch praktisch ausdrückten. So will ein Teil der PGA-Aktivisten von Belgrad nach Rumänien weiterfahren, um sich mit der Lage der dort lebenden Roma zu beschäftigen. Außerdem soll dort der Kontakt mit rumänischen Linken aufgenommen werden, die auf der Konferenz nicht anwesend waren. Das Interesse der Globalisierungskritiker an den Bewegungen in Osteuropa ist gewachsen und die jungen selbstbewussten Gruppierungen werden in Zukunft das Gesicht dieser Bewegung mitbestimmen. Dieses Fazit kann nach der Konferenz von Belgrad auf jeden Fall schon gezogen werden. |