Telepolis vom 7.9.04Prinzip Allgemeingut
Peter Nowak Bei der 6. Werkleitz-Biennale in Halle ging es um die Eigentumsfrage "Common Property Allgemeingut" steht auf den gelben Band, das ein Rechteck auf den Rasen vor der Kunsthochschule in Halle/Saale absperrt. Wer neugierig, das Band hochschiebt, wird allerdings enttäuscht sein, denn dort ist nur Rasen eingegrenzt. 50 Meter weiter macht man eine einerseits alltägliche andererseits aufregende Entdeckung. Mitten in der Stadt kann man einen Urwald mit wildwuchernden Pflanzen und Büschen betreten. Seit Jahrzehnten war der zur Kunsthochschule gehörender Garten durch eine hohe Mauer von der Öffentlichkeit gesperrt. Die Spanierin Lara Almarcegui, zu deren Konzept es gehört, in den unterschiedlichsten Städten ungenutzte Flächen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, hat auch das Hallenser Brachland zur Common Property werden lassen - Installationen im Rahmen der 6.Werkleitz-Biennale [1] in Halle, die am Sonntag zu Ende ging. Den Namen hat Ostdeutschlands größtes Festival für Medienkunst, von dem kleinen Ort Werkleitz in Sachsen-Anhalt, wo das Festival 1993 unter dem Namen "Tapetenwechsel" [2] gegründet wurde und bis letztes Jahr beheimatet war. In diesem Jahr zog man in den Hallenscher Volkspark um. Das war eine aus vielerlei Gründen kluge Entscheidung. Die aufstrebende Universitätshalle lockt wesentlich mehr Besucher und auch medial war das Interesse an dem Kulturevent gewachsen, an dem in diesem Jahr 170 Künstler aus 30 Ländern beteiligt waren. Viel wichtiger aber ist der thematische Link zwischen dem historischen Ort und dem thematischen Schwerpunkt der Biennale. Von der Prämisse ausgehend, dass Kunst und Wissen Allgemeingut - eben "Common Property" sein sollte, wird untersucht, wie Wissen und Information im Zeitalter der Internetgesellschaft immer mehr zur auf dem Markt meistbietend verkauften Ware wird. Wer da noch auf das Prinzip des Allgemeingut besteht, bekommt schnell einen Brief vom Rechtsanwalt. Das musste vor einigen Monaten der Berliner Medienkünstler Sebastian Lütgert [3] erfahren, nach dem mit einem Haftbefehl [4] gefahndet wurde. Veranlasst wurde er vom Vorstandsvorsitzenden der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur und Kunstmäzenen Jan Philipp Reemtsma. Der ging gegen Lütgert juristisch vor (vgl. Katzen würden Adorno lesen [5]), weil der auf der Internetdomain [6] zwei Texte des Philosophen Theodor W. Adorno veröffentlichte, für die sich der Hamburger Millionär die Rechte gesichert hatte. Die moralische Empörung über Reemtsma war groß [7]. Schließlich hat der bisher viel moralischen Credit angehäuft, weil er das von seinen ins NS-System verstrickten Vorfahren angehäufte Vermögen zur Verwendung von Projekten der Aufklärung und Vernunft verwandt hatte. Eine Empörung, die aber letztlich nur moralisch begründet ist. Reemtsma hat nicht anders gehandelt, wie jeder andere Besitzer vom Eigentumsrechten im Kapitalismus. Das kommt besonders in der Arbeit "Culture is our Business" der Berliner Künstlerin Ines Schaber deutlich zum Ausdruck. Sie fragte nach, warum man für das Foto "Straßenkämpfe in Berlin", auf dem bewaffnete Arbeiter hinter zu Barrikaden aufgeschichteten Zeitungsstapeln zu sehen sind, heute für die von Bill Gates gegründete US-Verwertungsfirma Corbis [8] Nutzungsgebühr bezahlen soll. Schaper skizziert die Odyssee des 1919 von dem Fotographen Willy Römer [9] aufgenommenen Bildes. Wie dieses Foto, so sind mittlerweile viele weitere Fotos auch über Kämpfe der Arbeiterbewegung vor über 80 Jahren mit dem Wasserzeichen von Corbis im Internet käuflich zu erwerben. Es ist nicht die einzige Installation, in der die Geschichte der Arbeiterbewegung auf der Biennale im Mittelpunkt steht. Schließlich ist das zentrale Ausstellungsgebäude, der Hallenser Volkspark [10], sehr eng mit dieser Geschichte verbunden. 1907 ist er von der Sozialdemokratie unter der Parole eröffnet worden, "aus Qual und Leid Euch zu erheben, das ist das Ziel, das wir erstreben". 1920 schloss sich die linkssozialdemokratische USPD [11] unter dem Motto "Die Internationale wird die Menschheit retten", in dem Gebäude mit der KPD zusammen. Fünf Jahre später kam bei dem Sturm der Polizei auf eine KPD-Veranstaltung in dem Gebäude der Jungkommunist Fritz Weineck ums Leben. Er sollte als der "kleine Trompeter" [12] in die Mythologie der KPD-Geschichtsschreibung eingehen. Sein in der DDR errichtetes Denkmal wurde nach 1989 von Rechtsradikalen mehrmals beschädigt, so dass es schließlich abgebaut werden musste. Bei der Biennale war es ebenso wieder zu finden, wie die vielen DDR-Wandmalereien, auf denen in Halle-Neustadt [13] auf den Neubauten der 60er Jahre Szenen aus den weltweiten Klassenkämpfen verewigt waren. Die Künstlerin Michaela Melian [14] hat die längst entfernten utopischen Bilder auf der Wand eines Saales wieder hergestellt. Eine Etage weiter stellt der Berliner Künstler Florian Freytag seien rekonstruierten Fresken eines legendären Wandbildes vor, dass der mexikanische Künstler Diego Rivero (1934 für die New Workers School in New York gemalt hat. Unschwer ist zu erkennen, das es mit den Hallenscher Wandbildern die gleichen Utopien teilt. Wer es auf sich nahm, den mehr als fünfstündigen Film "La Commune" [15] von Peter Watkins [16] zu sehen, der während der Ausstellung lief, fühlte sich in die Jetzt-Zeit versetzt: Aktivisten eines alternativen Commune-TV haben sich unter die Kommunarden geschmuggelt und begleiten die kurze Geschichte dieser revolutionären Erhebung bis zum blutigen Ende. Die Schauspieler in historischen Kostümen antworten mit den Originaltexten aus der Commune und stellen immer wieder Bezüge zur Gegenwart her. Die Utopien, derer, die einst das Hallenscher Volkshaus eröffneten und derjenigen, die heute gegen die kapitalistische Globalisierung auf die Straße gehen, gegen Genpatentierung und für Common Property auf dem immateriellen Sektor kämpfen, gleichen sich ebenfalls. Wer die Eigentumsrechte im Wissenssektor in Frage stellt, kann über die Verfügungsmacht an den Produktionsmitteln nicht schweigen. Es ist zu hoffen, dass sich die nächste Werkleitz-Biennale im kommenden Jahr an diesem Themenstrang weiter abarbeitet.
Links
[1] http://www.werkleitz.de/events/biennale2004 [2] http://www.werkleitz.de/projekte/tapetenwechsel/ [3] http://wizards-of-os.org/index.php?id=1571&L=3 [4] http://www.textz.com/adorno/documentation.de.txt [5] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/16890/1.html [6] http://textz.com/ [7] http://www.kritische-masse.de/blog/item/233/catid/2 [8] http://pro.corbis.com/ [9] http://www.dhm.de/magazine/fotografen/roemer.html [10] http://www.volkspark-halle.de/ [11] http://www.teachsam.de/geschichte/ges_deu_weimar_18-33/wei_parteien/uspd /wei_par_uspd0.htm [12] http://home.planet.nl/~elder180/strijdlied/kleinetrompeter.htm [13] http://www.halle-neustadt.info/ [14] http://www.artnet.com/artist/11636/Michaela_Melian.html [15] http://www.film.at/id.2903887/detail.html [16] http://es.photography-now.com/artists/K08974.html |