ND 26.02.03Stürzt Blair über Bagdad? Der Politikwissenschaftler Oscar Reyes lehrt an der Universität von Essex politische Theorie, ist Aktivist des Independent Student Media Project (unabhängiges Studenten-Medien-Projekt) und Mitinitiator des landesweiten studentischen Anti-Kriegs-Netzwerkes. Er vertritt das Netzwerk in der übergreifenden, landesweiten Koalition »Stop the War« (Stoppt den Krieg).
ND: Großbritanniens Premierminister Blair hat gestern in London seine Regierungserklärung abgegeben. Er bleibt trotz wachsender Proteste in der Bevölkerung und seiner eigenen Parteibasis weiter auf Kriegskurs. Könnte dieser Widerstand Premier Blair zu einem Kurswechsel zwingen? Reyes: Das ist äußerst unwahrscheinlich. Blair ist jetzt in einer für ihn unangenehmen Lage. Er hat sich so eng mit dem Kriegskurs gegen Irak verbunden, ihn mit menschenrechtlichen Argumenten begründet, dass er keinen Rückzieher mehr machen kann. Andererseits kommen seine Argumente einfach nicht an und der Widerstand gegen seinen Kurs wächst in der Bevölkerung, aber auch in der eigenen Partei.
Ist es möglich, dass ein Kriegsbeginn die Labour-Partei spaltet? Eine Spaltung ist nicht sehr wahrscheinlich. Doch es ist sehr wohl möglich, dass Blair sein Amt als Parteichef von Labour und als britischer Premierminister verliert. Es geht in Großbritannien schon der Spruch um, dass es eher zu einem Regimewechsel in London kommt als in Bagdad.
Wer könnte Blair innerparteilich ersetzen? Es wäre sicher kein Exponent des linken Parteiflügels, wie Tony Benn. Doch der Widerstand gegen den bedingungslosen Kriegskurs von Blair ist längst nicht mehr auf den linken Flügel der Partei beschränkt. Mittlerweile sind auch moderate Teile der Partei auf Distanz zu Blair gegangen. Sie teilen mit dem Premierminister sein neoliberales Wirtschaftskonzept und haben ihn lange unterstützt. Aus ihren Reihen könnte ein Nachfolger für Blair kommen. Da werden von politischen Beobachtern mehrere Personen genannt, unter anderen die Entwicklungshilfeministerin Claire Short und der ehemalige Außenminister Robin Cook.
Gibt es bei den konservativen Tories Opposition gegen Blairs Kriegskurs? Es gibt bei den Konservativen keine Opposition gegen die Kriegspolitik von Blair. Sie wird bedingungslos unterstützt. Das ist die traditionelle Torypolitik. In Großbritannien gilt weiterhin das alte Prinzip: die Rechten unterstützen den Krieg, die Linke leistet Widerstand dagegen. Nur dass die von Blair repräsentierte Labourparty Teil der Rechten ist. Daher war es so bemerkenswert, dass an den großen Antikriegsprotesten am 15.2. in London auch einige Personen teilnahmen, die sich ausdrücklich als konservativ bezeichnen. Das war so ungewöhnlich, dass die Medien ausführlich darüber berichteten.
Könnte ein Kriegsbeginn zur Lähmung der Friedensbewegung führen? Nein, wir gehen davon aus, dass ein Kriegsbeginn zu einem enormen Aufschwung der Bewegung führen wird. Es gibt schon konkrete Planungen für den Tag X, den Tag des Kriegsausbruchs. Neben Massendemonstrationen sind dann auch Streiks und Aktionen des zivilen Ungehorsams geplant.
Wird in der Antikriegsbewegung auch über die Gründe nachgedacht, warum sich ausgerechnet Großbritannien so bedingungslos der Bush-Politik verschrieben hat? Es gibt dazu unterschiedliche Meinungen. Doch häufig ist zu hören, für die USA sei das Öl der wichtigste Kriegsgrund. Großbritannien hingegen ziehe in den Krieg, weil die Regierung bedingungslos aufseiten der USA stehen will.
Fragen: Peter Nowak |