Telepolis09.10.2003 Ankara lässt die Muskeln spielen
Peter Nowak Die Entsendung türkischer Soldaten in den Irak könnte die Probleme noch anheizen Am vergangenen Dienstag gab das türkische Parlament grünes Licht für den Plan der Regierung in Ankara, Soldaten in den Irak zu schicken. 358 Abgeordnete votierten für die Entsendung, 183 Mandatsträger verweigerten die Zustimmung. Demnächst dürften bis zu 12.000 türkische Soldaten in den Irak verlegt werden. Noch Anfang März 2003 verweigerte das türkische Parlament sehr zum Unwillen der US-Regierung die logistische Unterstützung des Krieges gegen den Irak ( Ein kurzes Ja für die Stationierung der US-Truppen in der Türkei [1]). Sogar die Angriffspläne mussten wegen dieser Ablehnung geändert werden. Die USA zeigte in der Folge deutlich ihre Verärgerung über die türkische Entscheidung. Hat das türkische Parlament mit seiner aktuellen Entscheidung einen Kotau vor den USA gemacht und Abbitte für seine defätistische Haltung geleistet, wie manche Kommentatoren mutmaßen? Sicherlich dürften Kreditzusagen in Höhe von 8,5 Milliarden Dollar für das hochverschuldete Land am Bosporus das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten beeinflusst haben. Doch in erster Linie ging es um eine türkische Interessenpolitik, die sich kurzfristig auch mit dem Interesse der USA nach militärischer Entlastung im Irak deckt. Doch die türkische Entscheidung könnte die Lage im Irak sogar noch verkomplizieren und für neue Konflikte sorgen. Das zeigte schon die innerirakische Reaktion [2] auf den Beschluss aus Ankara. Sowohl die kurdischen Organisationen als auch der Provisorische irakische Regierungsrat lehnten [3] ihn vehement ab. Zustimmung [4] kam hingegen von der turkmenischen Minderheit im Irak, die sich mit Rückendeckung aus Ankara politisch stärker profilieren dürfte. Gerade kurdische Gruppen fürchten, dass die turkmenische Minderheit als eine Art fünfte Kolonne der Türkei im Irak auftreten könnte. Schon vor Monaten gab es im Nordirak erste Auseinandersetzungen [5] zwischen Kurden und Turkmenen. Auch die im Nordirak stationierten demobilisierten Kämpfer der ehemaligen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) gehören zu den entschiedenen Gegnern eines türkischen Engagements im Irak. Schließlich fordern türkische Militärs seit Monaten die völlige Eliminierung der Militärbasen. Die USA hat dieses Drängen aus Ankara allerdings bisher ignoriert, obwohl die PKK auf den sogenannten Terrorlisten der USA [6] und der Europäischen Union [7] aufgeführt ist. Die PKK-Nachfolgeorganisation Kadek wiederum hat in der letzten Zeit eine Kursänderung in ihrer Einschätzung der USA-Politik vorgenommen. Sie spricht sich nach dem Sturz Saddam Husseins für eine Demokratisierung der gesamten Region aus und weist der USA dabei eine Schlüsselrolle zu. Es ist klar, dass die Kadek die Situation der kurdischen Minderheit in der Türkei in diesem Kontext ebenfalls zum Thema machen will. So wäre in absehbarer Zeit ein bisher für unmöglich gehaltenes Szenario nicht mehr auszuschließen gewesen. Eine gewendete Kadek könnte mit Hilfe der USA die Türkei unter Druck setzen. Solchen Planspielen hat die türkische Regierung mit ihrer Truppenentsendung schon im Vorfeld die Grundlage entzogen. Sie machte [8] klar, dass sie "alle Maßnahmen zur Säuberung des Irak von terroristischen Elementen der PKK/KADEK" treffen und verhindern werde, dass der Irak zu einem "Asyl für Terroristen" werde. Das sei auch mit der US-Regierung bereits abgesprochen. Der Chef der KADEK, Osman Ocalan, hofft [9] allerdings, dass die USA der Türkei nicht erlauben werden, gegen sie vorzugehen, oder dass die USA selbst ihre Stützpunkte angreifen wird. Er sprach sich nicht prinzipiell gegen eine Entsendung von türkischen Truppen aus, sie müssten aber die kurdischen Gebiete meiden und dürften keine Stützpunkte errichten. Das demonstrative Lob [10] aus Washington für die in der Türkei selbst umstrittene Entscheidung, kann die Meinungsverschiedenheiten nicht verdecken, die über den Ort der Stationierung in vollem Gange sind. Die Türkei favorisiert die Provinz Selahaddin im nordirakischen Kurdengebiet. Das will die USA unter allem Unständen verhindern, weil dann sofort mit Auseinandersetzungen zwischen den türkischen Soldaten und der kurdischen Bevölkerung zu rechnen ist. Nach den Plänen aus Washington sollen die türkischen Soldaten im besonders gefährlichen Mittelirak eingesetzt werden. Auch über die Befugnisse der Soldaten gibt es noch Meinungsverschiedenheiten. Die Türkei besteht nicht nur auf ein eigenes Kommando, sie will das von ihr kontrollierte Gebiet auch weitgehend selbst verwalten. Solche Forderungen kann Ankara nur stellen, weil die USA durch den fortdauernden Widerstand im Irak, auf eine Truppenverstärkung dringend angewiesen ist. Die Folgen der türkischen Militärpräsenz allerdings könnten die Probleme im Irak noch weiter zuspitzen.
Links
[1] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/irak/14299/1.html [2] http://english.aljazeera.net/NR/exeres/960B1A7F-8A50-4782-9259-1C8C65D6B 33B.htm [3] http://www.gulfnews.com/Articles/news.asp?ArticleID=99768 [4] http://www.welt.de/data/2003/03/28/59251.html [5] http://www.nzz.ch/2003/08/25/al/page-article91X0R.html [6] http://usinfo.state.gov/topical/pol/terror/designated.htm [7] http://www.statewatch.org/news/2002/may/terr330034.pdf [8] http://www.turkishpress.com/turkishpress/news.asp?ID=13880 [9] http://www.guardian.co.uk/international/story/0,3604,1058147,00.html [10] http://usinfo.state.gov/xarchives/display.html?p=washfile-english&y=2003 &m=October&x=20031006182108samohtj0.3975489&t=xarchives/xarchitem.html |