Neues Deutschland vom 16.1.03 Widerständische Werkstatt Linksökologisches Projekt in Hessen immer wieder im Visier des Staatsschutzes
Von Peter Nowak
Der Besuch der Staatsmacht war kurz, aber folgenreich. Nur knapp 45 Minuten dauerte am vergangenen Freitag die Razzia bei der Projektwerkstatt Sassen in der Nähe von Giessen. Die Polizisten hatten die technische Infrastruktur des Projekts weitgehend zerstört. Sämtliche Computeranlagen waren beschlagnahmt worden. »Dabei hatte die Polizei weder einen Durchsuchungsbefehl präsentiert noch eine Liste der beschlagnahmten Gegenstände hinterlassen«, kritisierte Sassenbewohner Patrick Neuhaus gegenüber dem ND. Die Staatsmacht wirft der Kommune vor, den hessischen Wahlkampf gestört zu haben. Von Graffitis und Parolen an Häuserwänden bis zur Veränderung von Wahlplakaten: Der Projektwerkstatt werden sämtliche Aktionen mit politischen Hintergrund angelastet, die sich in der letzten Zeit in dieser Region ereigneten. Kein Wunder, die Projektwerkstatt ist seit Jahren den Behörden und manchen konservativen Bürgern der Region ein Dorn im Auge. Handelt es sich in Sassen doch um eine Wohn- und Arbeitsgemeinschaft mit politischer Ausrichtung. Doch nicht Parteidoktrinen und ideologische Debatten, sondern widerständisches Leben stehen dort im Mittelpunkt. Wer noch etwas von dem Gefühl erfahren will, das in den Anfangsjahren der diversen alternativen Bewegungen zu Beginn der 80er Jahre in Westdeutschland geherrscht hat, ist bei der Projektwerkstatt am richtigen Ort. Doch anders als viele ehemalige Alternative, die im Laufe der letzten 20 Jahren ihren Weg über die Landkommunen zur Bürgerinitiative und dann in die Grüne Partei gefunden haben, hält man in Sassen an der Distanz zu Staat und den politischen Parteien fest. Daher ist die Projektwerkstatt immer wieder Anlaufpunkt auch für junge Leute, die dort Möglichkeiten haben, sich politisch zu betätigen. Manche politische Bewegung der letzten Jahre konnte von dieser Infrastruktur profitieren. So wurde der bundesweite Widerstand gegen die Weltausstellung Expo 2000 von Sassen aktiv befördert. Aber auch auf theoretischer Ebene wurde von dort immer wieder in die Bewegung interveniert. Auch die mittlerweile eingestellte Zeitung »Ö-Punkte« wurde in Sassen hergestellt. Und die Gründung der globalisierungskritischen Großorganisation Attac wird von den Sassenbewohnern äußerst kritisch beurteilt: Statt Lobbyarbeit bevorzugte man dort Widerstand von unten. Das rief auch Gegner auf den Plan. So hatten sich in der Vergangenheit mehrmals rechte Bürger aus der Region vor dem Haus zusammengerottet. Auch Polizei und Staatsschutz beobachteten das Widerstandsnest in der hessischen Provinz mit Argusaugen. In den letzten Wochen nahmen die Übergriffe zu. Willkürliche Festnahmen in der Giessener Fußgängerzone gehörten ebenso dazu wie die Beschlagnahme von Fahrrädern samt Gepäck. Die jüngste Razzia war ein Höhepunkt im behördlichen Kampf gegen die renitenten Projektwerkstättler. Doch die wollen sich nicht einschüchtern lassen. Auf Spendenbasis kamen schon neue Computer ins Haus. Auch politisch will man in die Offensive gehen. Am kommenden Samstag will man in der Giessener Innenstadt unter dem Motto »Gegen Polizeiwillkür und soziale Ausgrenzung« gegen die Razzia demonstrieren. |