ND 19.12.03Angriff auf das Patientenrecht Gesetz soll Zwangsbehandlung zulassen
Von Peter Nowak
Im Wust der Beschlüsse des Vermittlungsausschusses geht ein wichtiges Gesetz unter, über das der Bundesrat heute entscheidet: Entmündigte sollen künftig auch gegen ihren Willen einer ärztlichen Behandlung zugeführt werden. Am gestrigen Donnerstag sind in Saarbrücken und Düsseldorf Verbände, die sich für Psychiatriepatienten einsetzen, auf die Straße gegangen. Am Freitag werden sie ab 9 Uhr vor dem Gebäude des Bundesrats in Berlin ihre Proteste fortsetzen. Sie sehen ihre Rechte gefährdet und warnen gar vor einer drohenden Entmündigung. Der Grund ist ein neuer Paragraph 1906a des BGB (Betreuungsgesetz), der heute im Bundesrat verabschiedet werden soll, wonach entmündigte Patienten auch gegen ihren Willen behandelt werden dürfen. Zu den größten Befürwortern der Gesetzesinitiative gehört das Land Bayern. Deren Sozialministerin Beate Merk (CSU) hatte in einer Debatte über das Gesetz ihren Länderkollegen ins Gewissen geredet: »Jetzt geben wir dem Betreuer ein zusätzliches Instrumentarium an die Hand, die ambulante Behandlung im Bedarfsfall auch zwangsweise durchzusetzen. Meine Damen und Herren, die Gelegenheit ist günstig, im Betreuungsrecht das Ruder herumzuwerfen.« Für die Betroffenenverbände ist das blanker Zynismus. Sie interpretieren Merks Formel von der günstigen Gelegenheit auf ihre Weise. »Bis heute ist das Gesetz kaum bekannt. In der Öffentlichkeit wurde es überhaupt noch nicht diskutiert«, sagt Rene Talbot vom Landesverband der Psychiatrieerfahrenen Berlin-Brandenburg. »Jetzt soll es durchgepeitscht werden.« Der saarländische Landesverband sieht in dem Gesetz eine »Generalbevollmächtigung für Angehörige von Patienten«, deren Folgen verheerend seien: »Angehörige sind oft Teil des Problems, das sich bei den Betroffenen als >psychische Krankheit< manifestiert«, heißt es in einer Pressemitteilung der Organisation. Deshalb sei es nicht nachvollziehbar, diesen generell die gesetzliche Betreuung zu übertragen. Gegen den Paragraphen 1906a haben sich in Berlin drei Vereine positioniert. Der Verein zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt sowie die Projekte Weglaufhaus und Einzelfallhilfe Support warnen vor einem faktischen Freiheitsentzug für die Patienten. Die drei Betroffenenorganisationen wollen sich heute an den Protesten der Psychiatrieerfahrenen vor dem Bundesrat beteiligen. Einen Erfolg haben die Organisatoren der Proteste nach Meinung von Rene Talbot schon erreicht. Die Einheit der Länderminister, die die bayerische Sozialministerin angemahnt hatte, bestehe nicht mehr. Nach dem rot-grün regierten Schleswig-Holstein hat sich nun auch das gleichfarbige Nordrhein-Westfalen der Kritik an dem Paragraphen angeschlossen. Die Kieler Landesregierung will die Zulassung einer zwangsweisen Vorführung zur ambulanten Heilbehandlung mit dem Verweis auf erhebliche Grundrechtseingriffe streichen lassen. Talbot hofft jetzt, dass auch die Landesregierungen mit PDS-Regierungsbeteiligung, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, dem Änderungsantrag zustimmen. »Dann wäre eine Debatte in der Öffentlichkeit und auch im Bundestag nicht mehr zu verhindern«, ist sich Talbot sicher. |