Telepolis19.12.2003 Ein Stück Außenrealität hinter Gefängnismauern
Peter Nowak
Ein gemeinnütziger Verein untersucht das Leseverhalten hinter Gefängnismauern "Geht mal in den Zoo, ihr da draußen, ich Freie! Geht vor den Tigerkäfig und stellt euch vor, ihr wärt das Tier dort... " So beschrieb der langjährige Gefängnisinsasse Bruno Heizer in einer Erzählung unter den Titel "Gestohlener Himmel" seine Gefühle in einer Haftanstalt. "Der Autor konnte seine Erfahrungen in Worte fassen. Das ist nicht vielen Gefangenen möglich", meint Sybill Knobloch vom gemeinnützigen Verein Freiabonnements für Gefangene [1] aus Berlin, der sich zum Ziel gesetzt hat, Gefängnisinsassen mit Zeitungen und Zeitschriften ihrer Wahl zu versorgen. Regelmäßig werden Spender gesucht, die für einen Häftling ein Abonnement übernehmen. Das Sortiment der gewünschten Medien ist breit. Es reicht auf dem Sektor der Tageszeitungen von der konservativen FAZ bis zur linken jungen Welt. Unter den Wochenzeitungen sind Spiegel und Zeit Favoriten. Aber auch Stadtmagazine und Fachzeitungen wie "Dr. med Mabuse" und Lettre International finden hinter Gefängnismauern ihre Leser. Unter den fremdsprachigen Medien stehen die türkische Tageszeitung Milliyet und die arabische Wochenzeitung Al Hawadess an erster Stelle. Mit ihrer Studie über das Medienangebot in Haftanstalten [2] hat Knobloch die Arbeit ihres Vereins mit Daten unterfüttert. An 434 Haftanstalten in ganz Deutschland wurde der Fragebogen zur Untersuchung geschickt. 165 schickten den Fragebogen ausgefüllt zurück. Das ist eine Rücklaufquote von 48,4%. Die Ergebnisse zeigen, dass das Gefängnis kein besonders gutes Pflaster für lesende Häftlinge ist. Knapp ein Viertel der kooperierenden Haftanstalten verfügt über keinen eigenen Medienetat. Verfügen die Gefängnisse über Gelder zur Anschaffung von Medien, werden die überwiegend für die Anschaffung von Büchern und nur zum geringen Teil für Zeitungen und Zeitschriften verwendet. Häftlinge mit geringen Geldmitteln sind dann auf kostenlose Publikationen angewiesen. Dort stehen allerdings kirchliche Publikationen an erster Stelle. Das trifft allerdings nicht das Interesse der Mehrheit der Häftlinge, die bei der Zeitungslektüre hauptsächlich an umfassenden Informationen über politische Themen interessiert sind, wie die Studie belegt. Die befragten Vertreter der Haftanstalten sagen, dass 39 % der Insassen großes, 13,9 % sogar sehr großes Interesse am Zeitungslesen haben. Fast die Hälfte der Befragten gibt an, vor dem Gefängnisaufenthalt weniger gelesen zu haben. Für die Initiatorin der Befragung Sybill Knobloch ist dieses Medieninteresse sehr plausibel. "Die Zeitung bringt ein Mehr an Außenrealität in den Gefängnisalltag mit seiner sinnentleerten Zeit." Zur Zeit sind die Nachfragen nach Abonnements besonders groß. Gerade in der Weihnachtszeit, wenn viele Gefangene die Trennung von ihren Verwandten und Freunden besonders drückend empfinden, kann die Zeitungslektüre eine gute Ablenkung sein.
Links
[1] http://www.freiabos.de/ [2] http://www.freiabos.de/linkeLeiste/eingesp.html#mediennutzung |