ND 27.10.03Berliner Sozialforum zur menschenfeindlichen Ideologie einer »Job-Revolution«
Von Peter Nowak Wenn die Bundesregierung gehofft hat, dass mit der Verabschiedung der Hartz-Gesetze in der letzten Woche das Thema vom Tisch ist, hat sie sich getäuscht. In Berlin sind zur Zeit Veranstaltungen gut besucht, wo die Politik des Sozialkahlschlags kritisiert und Alternativen diskutiert werden. So trafen sich über 100 Interessierte am vergangenen Freitag auf einer vom Berliner Sozialforum organisierten Veranstaltung über die Ideologie, die hinter der Demontage des Sozialstaates steht. Der Berliner Mediziner Johannes Spatz sprach über die Auswirkungen der neuen Gesetze auf das Gesundheitswesen. Kurz und knapp liefen die auf die Formel hinaus: Weil du arm bist, musst du früher sterben. Schon heute sei Armut eine wichtige Krankheitsursache. Im wohlhabenden Berliner Bezirk Zehlendorf lebten die Bewohner länger als in Kreuzberg, wo viele Sozialhilfe- oder Arbeitslosenempfänger wohnen. Die neuen Gesetze würden diese Tendenz verstärken, so Spatz. Die zusätzlichen Gebühren für Arztbesuche würden seiner Meinung nach auch dazu führen, dass Menschen mit kleinem Geldbeutel wichtige Untersuchungen hinauszögern. Das könnte zur Folge haben, dass im Frühstadium leicht behandelbare Krankheiten zu spät erkannt werden. Auch der Zugang zu wirksamen Medikamenten werde immer mehr eine Frage des Geldbeutels, sagte der Arzt. Es handele sich bei den Gesetzen um eine grundsätzliche Abkehr von einem Solidarsystem. Gestärkt würde die Ärzte- und Pharmalobby. Die Feministin Frigga Haug analysierte ein kürzlich im konservativen FAZ-Verlag erschienenes Buch von Peter Hartz. Unter dem Titel »Job-Revolution - Für eine neue Arbeitsmarktpolitik« beschwört der Namensgeber der jüngsten Sparbeschlüsse der Regierung den Aufbruch in eine völlig andere politische Kultur. Neues Leitbild seien die überall und jederzeit einsatzbereiten Maschinenmenschen. Fit, fähig, flexibel und fantastisch lauteten die Attribute des modernen Menschen im Weltbild des Peter Hartz. Er proklamiere den schrankenlosen Individualismus, der in die viel zitierte Ich-AG münde. Jegliches kollektive und solidarische Handeln sei bei ihm verpönt. Frigga Haug vergleicht Hartz mit den Autokönig Henry Ford, der mit seinem Unternehmen einem gesamten kapitalistischen Regulationsmodell, dem Fordismus, den Namen gab. Ob Hartz im nachfordistischen Kapitalismus eine ebenso wichtige Rolle spielen wird, müsse einstweilen offen bleiben. Das liege nicht zuletzt an den Gegenkräften. Corinna Genschel stellte das neu gegründete Berliner Sozialforum (SFB) vor. Unter seinem Dach treffen sich zahlreiche sozialpolitisch engagierte Menschen. Welche Rolle diese Foren bei Protesten gegen die Kürzungspolitik spielen können, ist allerdings noch völlig offen. Nur eine Minderheit des Berliner Sozialforums engagiert sich aktiv bei der Vorbereitung der bundesweiten Demonstration »gegen Hartz und Co.« am 1. November in Berlin. Doch auch von der Beteiligung an dieser Aktion am kommenden Samstag wird abhängen, wie kraftvoll die Proteste gegen Sozialkürzungen sein werden. »Einmischung ist gefragt«, meinte jedenfalls Frigga Haug unter großen Beifall. |