Scheinschlag 3/2003Fluchtgefahr bei Flüchtlingen? Gespräch mit Viktoria Schultz von der Initiative gegen Abschiebehaft Mehrere Organisationen und Einzelpersonen haben sich Anfang Februar in einem offenen Brief an Berlins Innensenator Körting gewandt. Wir sprachen mit Viktoria Schultz von der Initiative gegen Abschiebehaft, die den offenen Brief initiierte.
Ihr habt Euch in einem offenen Brief an Berlins Innensenator Körting gegen die Zustände im Abschiebegefängnis gewandt. Was ist der konkrete Anlaß?
Am Montag, dem 20. Januar 2003, begaben sich mehr als 70 Menschen, die in Berlin-Köpenick in Abschiebgewahrsam sitzen, in einen Hungerstreik. Ziel des Hungerstreiks war es, auf die menschenverachtenden Zustände hinzuweisen. Ihre Hauptforderung war die sofortige Freilassung aller derjenigen, die weit über sechs Monate in Abschiebehaft sitzen und deren Abschiebung rechtlich nicht möglich ist. Die Berliner Richter legitimieren eine solche Inhaftierung immer wieder mit fadenscheinigen Begründungen wie einer angeblichen Fluchtgefahr. Das ist eine eindeutige Rechtsbeugung, und der Abschiebegewahrsam ist somit ein reines Repressionsinstrument. Körting wollte über diesen Punkt nicht reden, doch versprach er, die bereits lange von der rot-roten Regierung geplanten Hafterleichterungen durchzusetzen - wie das Entfernen der Innengitter in der Etage der Langzeitinhaftierten, einen verlängerten Hofgang und das Aufstellen einer Tischtennisplatte. Obwohl dies sogar in den Koalitionsvereinbarungen steht, ist es noch nicht einmal in Angriff genommen worden. Die SPD hat sich zwar noch nie als antirassistische Partei hervorgetan, doch von seiten der PDS vermissen wir den nötigen Nachdruck bei der Umsetzung. Aufgrund dieser Zusagen wurde der Hungerstreik bis zum 10. Februar von den meisten ausgesetzt, aber von sechs Menschen weitergeführt.
Warum wurde er später fortgesetzt?
Da sich die Zusagen als leere Worthülsen erwiesen, nahmen vor drei Tagen mehr als 60 Menschen den Hungerstreik wieder auf. Ihre Forderungen sind die Verkürzung der Haftdauer, eine ordentliche medizinische Versorgung und eine Sanktionierung der Belästigungen und Mißhandlungen von seiten der Angestellten. Wir unterstützen diese an der Realität der Inhaftierung angelehnten Forderungen, gehen politisch aber weiter und setzen uns für die Schließung aller Abschiebeknäste ein.
Innensenator Körting verweist auf die Zuständigkeit der anderen Bundesländer und beteuert, daß Berlin nicht alleine handeln könne. Ist er der falsche Ansprechpartner für den Brief?
Das ist mal wieder ein politisches Hinundherschieben der Verantwortung, denn Körting ist der politisch Verantwortliche für die Zustände in dem Berliner Abschiebeknast, und er könnte wenigstens die geplanten Hafterleichterungen durchsetzen. Die ihm direkt unterstellte Ausländerbehörde und Polizei nimmt bei der Anweisung und Durchsetzung der Abschiebehaft eine zentrale Stellung ein. Diese Behörden sind an seine Weisungen gebunden und setzen seine Richtlinien um. Wer, wenn nicht er, ist dafür verantwortlich? Darüberhinaus könnte die Landesregierung eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung der Abschiebeknäste starten.
Selbstmordversuche von Abschiebehäftlingen sind ja anscheinend keine Einzelfälle.
Die Angst vor Abschiebung und Folter in den Herkunftsländern und die Erkenntnis, daß alle Bemühungen umsonst waren, treiben viele in die Verzweiflung. So bleibt der Selbstmord oft der scheinbar einzige Ausweg.
Interview: Peter Nowak |