ND 06.11.03Hereros verlangen von Berlin Entschädigung Bündnis antirassistischer Gruppen bereitet Konferenz zu deutschen Kolonialverbrechen vor
Von Peter Nowak Der Herero-Führer Kuaima Riruako eröffnete gestern auf einer Pressekonferenz in Berlin eine Kampagne anlässlich des 100. Jahrestages des Völkermordes an seinem südwestafrikanischen Volk. Deutschlands Außenminister Joschka Fischer sorgte während seines Besuches im südlichen Afrika Ende Oktober für Wirbel, der in der hiesigen Presse kaum Beachtung fand. In Namibia lehnte er eine Entschuldigung für die Verbrechen der deutschen Kolonialpolitik ausdrücklich ab. »Ich kann keine Äußerung vornehmen, die entschädigungsrelevant wäre«, sagte der deutsche Außenminister. »Fischer hat sich und die deutsche Regierung gründlich blamiert«, konterte Kuaima Riruako am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Berlin. Der Herero-Häuptling befindet sich mit einer Delegation auf einer Rundreise durch Deutschland. Er will an ein weitgehend vergessenes Verbrechen deutscher Kolonialsoldaten erinnern, das sich im nächsten Jahr zum 100. Mal jährt. Das Verbrechen ereignete sich in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, wo sich die Hereros im Januar 1904 gegen die deutschen Kolonialherren erhoben. In den Zeitungen des Deutschen Reiches überschlugen sich die Meldungen über die nun gefährdeten Landsleute im fernen Afrika. Der Aufstand weitete sich schnell auf die gesamte Kolonie aus. Doch die Rache war grausam, nachdem General von Trotha das Kommando zur Aufstandsbekämpfung übernommen hatte. Seinem Beinamen »der Schlächter« sollte er bald alle Ehre machen. »Unter von Trotha entwickelte sich der Krieg gegen die Hereros zum Vernichtungsfeldzug«, schreibt der Afrikaspezialist Heiko Möhle. Seine Truppen kesselten die Hereros in der Wüste Omaheke ein. »Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten, die Vernichtung des Hererovolkes«, meldete das deutsche Generalstabswerk. Die erschöpften Menschen wurden wie ein zu Tode gehetztes Vieh von Wasserstelle zu Wasserstelle gescheucht. Zehntausende Männer, Frauen und Kinder verhungerten oder verdursteten. »Das Röcheln der Sterbenden und das Wutgeschrei des Wahnsinns verhallte in der erhabenen Stille der Unendlichkeit. Das Strafgericht hatte sein Ende gefunden. Die Herero hatten aufgehört, ein selbständiger Volksstamm zu sein«, schrieb ein Kolonialschriftsteller damals. Insgesamt kamen damals mehr als 60000 Menschen in der Wüste um. Viele der an dem Krieg gegen die Hereros beteiligten Personen sollten während des Nationalsozialismus weiterhin Verwendung finden. Zu ihnen gehörte der Arzt Josef Mengele, der wegen seiner medizinischen Verbrechen an KZ-Häftlingen weltweit bekannt wurde. Dass er sein blutiges Handwerk im Süden Afrikas gelernt hatte, ist weniger bekannt. Kein Wunder. Nachdem Deutschland nach der Niederlage im ersten Weltkrieg seine Kolonien verloren hatte, versuchte er sich als ehrlicher Makler bei Konflikten in der so genannten Dritten Welt zu profilieren. Schließlich sei man anders als Frankreich und Großbritannien nicht so mit dem kolonialen Erbe belastet. An die eigenen Kolonialverbrechen wollte man möglichst nicht erinnert werden. Das könnte sich im nächsten Jahr ändern. Vier Milliarden Dollar Entschädigung verlangt Häuptling Riruako von der Bundesregierung. Das Geld soll für Infrastruktur-, Bildungs- und Gesundheitsprojekte in den afrikanischen Ländern verwendet werden. Eine Klage bei USA-Gerichten wurde schon eingereicht. Doch es geht Riruako und seiner Delegation nicht nur um das Geld, sondern es geht auch um die Auseinandersetzung mit der Geschichte. Riruako verweist auf mehrere tausend Afrikaner, vor allem aus Kamerun, die in Deutschland leben. Sie sind oft Nachkommen von Menschen, die während der Kolonialzeit zwangsweise nach Deutschland verschleppt wurden. Heute sind sie oft rassistischer Unterdrückung ausgesetzt. Diesen Zusammenhang stellt auch ein Bündnis von antirassistischen Gruppen her, das im nächsten Jahr in Berlin die »Anticolonial Africa Conference« in Berlin vorbereitet. Der 100. Jahrestag des Massakers an den Hereros soll zum Anlass genommen werden, um auf die fortdauernde Diskriminierung von Afrikanern hinzuweisen. |