TELEPOLIS21.08.2003 "Ich bin alter Nationalsozialist"
Peter Nowak Schleyer - eine deutsche Geschichte: Wann hat man einen Film solchen Inhalts jemals im öffentlich rechtlichen Fernsehen zu sehen bekommen? "Ich war gegen die Ermordung von Hans Martin Schleyer, aber wehre mich vehement dagegen, dass seine Nazivergangenheit plötzlich keine Erwähnung mehr findet." Dieses Statement des damaligen Aktivisten der außerparlamentarischen Opposition Daniel Cohn-Bendit [1] bei einer Fernsehdiskussion löste im Jahre 1978 Empörung aus. Der deutsche Herbst war noch nicht lange vorbei. Wer die Opfer der Roten Armee Fraktion zu kritisieren wagte, wurde gleich in den Sympathisantenkreis der Terroristen eingereiht. 1978 untersagte der Hamburger Schulsenator offiziell den Lehrern, "dunkle Punkte" im Leben von Schleyer auszuleuchten [2] 25 Jahre später hat der Filmemacher Lutz Hachmeister [3] Cohn-Bendits Worte zur Richtschnur genommen. Seine gestern in der ARD [4] ausgestrahlte Dokumentation Schleyer - eine deutsche Geschichte [5] "holt Schleyer aus der Opferecke", wie die TAZ treffend schreibt [6]. Schleyer wird als überzeugter Nationalsozialist seit Jugendtagen porträtiert, der sogar eine Burschenschaft verlässt, weil die sich nicht von zwei jüdischen Alten Herren trennen will. "Ich bin alter Nationalsozialist", bekennt der kaum 30jährige Schleyer selbst in einem Brief aus Prag. Dort war er zunächst für das Studentenwerk zuständig. Bald wechselte er allerdings zum "Centralverband der Industrie", wo er den Grundstein für seinen steilen Aufstieg in Nachkriegsdeutschland legte, wie er selber immer freimütig bekannte. Es läuft dem Zuschauer kalt den Rücken runter, wenn ein alter Weggefährte Schleyers aus Prager Tagen mit einem süffisanten Lächeln erklärte, dass es damals dort viele leere Villen gegeben habe, weil die Besitzer abwesend waren. Gleich danach wird kurz und knapp mitgeteilt, dass die jüdische Besitzerin der arisierten Villa, in der Schleyer lebte, in Auschwitz ermordet wurde. Es ist die große Stärke des Films, dass er ohne Kommentare und moralische Zeigefinger auskommt. Mit Stefan Wisniewski [7], der als Mitglied des RAF-Kommandos, dass Schleyer entführte, mehr als 20 Jahre inhaftiert war, trat gleichzeitig der Mann auf, der als Sohn eines polnischen Zwangsarbeiters jede Versöhnung mit dem Nazi Schleyer vehement zurückweist. Der Zuschauer reibt sich die Augen. Wann hat man einen Film solchen Inhalts jemals im öffentlich rechtlichen Fernsehen zu sehen bekommen? Natürlich dürfen die konservativen Stimmen nicht fehlen, die eine posthumen Hinrichtung von Schleyer beklagen [8]. Doch sie bleiben in der Minderheit. Ist es die viel zitierte Historisierung der RAF, die solche Filme heute möglich machen? Dann verwundert allerdings die Debatte umso mehr, die seit einigen Wochen um eine geplante Ausstellung über die RAF geführt wird (vgl. Wiederauferstehung des RAF-Gespenstes [9]). Dort wurden von konservativen Kritikern Töne angeschlagen, die fatal an die 70er Jahre erinnern. Die Kampagne hat schon Wirkung gezeigt. Die Ausstellung soll jetzt quasi unter die Oberaufsicht von Angehörigen der RAF-Opfer gestellt werden. Mit der Rückzahlung von Geldern aus dem Hauptstadtkulturfond wurde gar gedroht [10]. In verschiedenen Zeitungsartikeln wurde den Ausstellungsmachern empfohlen, sich Hachmeisters Film bei ihrer Arbeit als Vorbild zu nehmen. Ein guter Vorschlag. Das aber hieße in der aktuellen Phase, jegliche Einmischungsversuche von Medien, Politikern oder Angehörigen von RAF-Opfern konsequent zurückzuweisen. Das könnte die Ausstellung davor bewahren, so ausgewogen und langweilig zu sein, dass sich kaum jemand dafür interessiert. Hachmeister, der mit seiner Dokumentation einen anderen Weg gegangen ist, zumindest ist überzeugt, dass die Zeit für eine solche Ausstellung [11] reif ist.
Links
[1] http://www.cohn-bendit.de [2] http://www.juedische-allgemeine.de/tools/lese.php?ssl_fehler=index.html& ssl_index=/kultur/kultur.html&weit=/kultur/kultur-07859.html1. [3] http://www.ifj.fb15.uni-dortmund.de/html/personen/hachmeister [4] http://www.ard.de [5] http://www.ndr.de/ndr/derndr/presse/data/pm_schleyer.pdf [6] http://www.taz.de/pt/2003/08/16/a0229.nf/text [7] http://www.buecher-titel.de/ Wir-waren-so-unheimlich-k-3894080744.html [8] http://www.welt.de/data/2003/08/20/156267.html [9] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/15307/1.html [10] http://www.dradio.de/cgi-bin/es/neu-fazit/2169.html [11] http://www.taz.de/pt/2003/08/20/a0108.nf/text.ges,1 |