TELEPOLIS 01.06.2003Die Antiglobalisierungsbewegung meldet sich zurück
Peter Nowak
Doch über die Ablehnung des G8-Gipfels hinaus gibt es wenig Gemeinsamkeiten Es war still geworden um die globalisierungskritische Bewegung, in der vor zwei Jahren manche schon eine neue APO gesehen haben. Doch nach der massiven Repression gegen Globalisierungskritiker in Genua im Sommer 200 schien die Bewegung an ihre Grenzen gestoßen zu sein. Die Anschläge vom 11. September haben die von der jungen Bewegung aufgeworfenen Themen, gerechte Weltwirtschaftsordnung und Infragestellung des kapitalistischen Profitmodell, scheinbar verdrängt. Auch die großen Gipfeln der Elite von Politik und Wirtschaft waren nach dem Herbst 2002 längst nicht mehr von so großen Demonstrationen begleitet wie zuvor. Doch für einen Abgesang auf die Bewegung ist es auf jeden Fall zu früh. Gegen den G8-Gipfel [1] in Evian ist den Globalisierungskritikern eine Mobilisierung gelungen, die durchaus mit den Aktionen in Genua vor zwei Jahren vergleichbar ist. Schon seit vergangenen Mittwoch erstrecken sich um die französisch-schweizerische Grenzstadt Annemasse große Zeltlager. Dort informieren sich Tausende Menschen aus ganz Europa in Workshops [2] über Alternativen zur Globalisierung, üben sich in gewaltfreiem Training oder bereiten die unterschiedlichsten Aktionen vor. Die Palette reicht von einen karnevalesken Politumzug durch Annemasse, der von einem Großteil der Bewohner freudig begrüßt wurde, bis zu weitgehend symbolischen Blockaden von Straßen und Autobahnen in der Nahe von Evian. Auch in der französischen Schweiz, vor allem in Genf und Lausanne, liefen in den letzten Tagen die Proteste an. Die Polizei war zunächst kaum zu sehen. Selbst als am Freitag am Rande einer Demonstration einige Schaufensterscheiben zu Bruch gingen, wurde die Deeskalationsstrategie beibehalten. Schon bei der Einreise übten sich die Schweizer Behörden in Toleranz. Ein von der globalisierungskritischen Organisation Attac [3] angemieteter Sonderzug nach Genf [4] )konnte nach einer kurzen Ausweiskontrolle an der deutsch-schweizerischen Grenze die Fahrt mit sämtlichen der über 800 Fahrgästen fortsetzen. Anders als noch in Genua wird die Verhinderung des Gipfels selbst in den Propagandaschriften radikalerer Gruppierungen nicht propagiert. Statt dessen wird von der geplanten Störung des Gipfels gesprochen. Auch der Sturm auf die Roten Zonen, das polizeilich abgeriegelte Areal in unmittelbarer Nähe zur Konferenz, ist ausdrücklich nicht Ziel der Proteste. Das war bei den Aktionen in Seattle, Prag; Goeteborg und Genua noch anders. Manche Aktivisten beklagen denn auch, die Bewegung sei defensiver geworden. Tatsächlich ist das hauptsächlich eine Folge der Erfahrungen aus Goeteborg und Genua. Schwerverletzte Demonstranten, gar der tote Carlo Guiliani in Genua, sind auch vielen radikaleren Aktivisten ein zu hoher Preis. Trotz aller Deeskalationsbemühungen von beiden Seiten, ein Hauch von Genua war zu besichtigen, wenn man in den letzten Tagen durch Genf oder Annemasse ging. Zahlreiche Geschäfte hatten nicht nur geschlossen, sondern auch Türen und Fenster zugenagelt. Die konservativen Regionalmedien malten in den letzten Tagen Horrorbilder über von Demonstranten verwüstete Innenstädte. Einige kleinere Zwischenfälle der letzten Tage heizten die Stimmung noch an, so dass sich einigere kleinere Gruppen aus der Vorbereitung gegen den G8-Gipfel kurzfristig zurück gezogen haben. Bis zum Gipfelende am Dienstag ist eine Eskalation aber nicht ausgeschlossen. Alle fragen sich, wie die Aktionen heute ablaufen werden. Tausende Demonstranten von Annemasse und Genf werden gegen den Gipfel protestieren. In Genf wurden Brücken besetzt Für viele Globalisierungskritiker ist die Mobilisierung vor allem wegen der großen Resonanz ein Erfolg. Auch die Medien haben wieder entdeckt, dass die Globalisierungskritiker noch existieren. Allerdings dürfte das allein zu wenig für eine längerfristige Bewegung sein. Denn über die Ablehnung des G8-Gipfels hinaus gibt es in der Bewegung bisher keinen gemeinsamen Grundkonsens.
Links
[1] http://anti-g8.de [2] http://de.indymedia.org/2003/05/53016.shtml [3] http://www.attac.de/index.php [4] http://www.attacberlin.de/72.0.html |