Telepolis vom 19.8.03Zweifel am rechtsstaatlichen Verfahren
Peter Nowak
Der Hamburger Prozess im Zusammenhang mit dem 11.September wird im Ausland zum Testfall, wie ernst es die deutsche Justiz mit der Verfolgung islamistischer Strukturen nimmt Am vergangenen Freitag begann der zweite Prozess im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11.September in Deutschland. Vor dem Hamburger Oberverwaltungsgericht muss sich der 30jährige Marokkaner Abdelghani Mzoudi wegen Beihilfe zum Mord in über 3000 Fällen und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verantworten. Schon im Februar 2003 war sein Landsmann Mounir el Motassadeq mit der gleichen Anklage zu einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt worden. Seine Anwälte haben Revision beantragt, über die noch nicht entschieden wurde. Die beiden Verfahren weisen zahlreiche Parallelen auf. Im Kern geht es sowohl bei Mzoudi wie bei Motassadeq um die Frage, ob es sich bei ihren Handlungen um Unterstützung für einen Terrorakt handelt, so die Lesart der Staatsanwaltschaft oder um Hilfe für einen Freund, wie sie in der orientalischen Lebenswelt üblich ist, wie die Verteidiger meinen. So haben beide Marokkaner schon vor sieben Jahren in Hamburg gemeinsam das Testament für Mohammed Atta unterschrieben, der nach dem 11.September 2001 als "Todespilot" weltweit Schlagzeilen machte. Schon zu Prozessbeginn haben Mzoudis Anwälte Gül Pinar und Michael Rosenthal heftige Schelte am Motassadeq-Urteil geübt und heftige Zweifel an den Beweismitteln aus den USA geäußert [1]. Dabei wird stellenweise eine derart amerikakritische Volte angeschlagen, dass sich das Juristenduo gleich selber rückversichert. Wir wollen da nicht missverstanden werden. Wir wollen keine Theorie verfechten, die auch eine politisch rechtsstehende Klientel versorgen könnte. Dabei sind die Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der Verfahren durchaus berechtigt. So warf schon vor Prozessbeginn Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung [2] die Frage auf, "ob hierzulande derartige Terror-Verfahren überhaupt noch nach den Regeln des Rechtsstaats ablaufen. Die Zweifel hieran gründen sich darauf, dass die Anklage bei Motassadeq ihr belastendes Material vorlegen konnte, es der Verteidigung aber verwehrt blieb, mögliche Entlastungszeugen vor Gericht auftreten zu lassen." Dazu gehört Ramzi Bin al-Schibb, der sowohl mit Motassadeq wie mit Mzoudi eng befreundet war. Die US-Behörden werfen ihm vor, zu den führenden Organisatoren der Anschläge vom 11.September zu gehören. Seit seiner Verhaftung im vergangenen September in Karatschi wird er auf einem US-Militärstützpunkt festgehalten. Ein weiterer aus der Sicht der Verteidigung wichtiger Zeuge ist der Deutsch-Syrer Mohammed Haydar Zammar, der in Syrien inhaftiert ist. Beide fallen nicht nur als Zeugen im Prozess aus, selbst in schriftlicher Form dürfen ihre Aussagen in dem Verfahren nicht verwendet werden. Dem Gericht liegen Sperrerklärungen vom Bundeskanzleramt und vom Bundesinnenministerium vor. Ein ausländischer Geheimdienst habe sein Veto gegen die Verwendung der Aussagen eingelegt, lautet die Begründung. Die US-Ermittlungsbehörden, die hier gemeint sind, dürften mehrere Gründe für unkooperative Haltung haben. So wollen sie vermeiden, dass über die Umstände diskutiert wird, unter denen die Aussagen zustande kamen (vgl. Das Recht auf Willkür im Krieg [3]). Sowohl Ramzi Bin al-Schibb als auch Zammar sollen in der Haft gefoltert worden sein Zudem gelten die deutschen Strafverfolgungsbehörden bei ihren US-Kollegen schon länger als unsicherere Kantonisten im weltweiten Antiterrorkampf. Tatsächlich legen die deutschen Ermittlungsbehörden bei der Verfolgung von Islamisten längst nicht den gleichen Eifer an den Tag, wie noch vor 25 Jahren im Kampf gegen die RAF und andere linke militante Gruppen. Selbst nach dem Anschlag auf die Synagoge von Djerba [4], bei dem zahlreiche deutsche Urlauber unter den Opfer waren, konnte man in Deutschland keine Spur von Terrorismushysterie finden. Gegen Christian G., der in Frankreich wegen Mitwisserschaft bei dem Djerba-Anschlag und Al Quaida-Mitgliedschaft inhaftiert ist, lehnte der Bundesgerichtshof die Ausstellung eines Haftbefehls [5] ab. So wird das Hamburger Verfahren im Ausland auch zum Testfall, wie ernst es die deutsche Justiz mit der Verfolgung islamistischer Strukturen nimmt. Ein Kommentator [6] der TAZ bringt es auf den Punkt: Ein gut begründeter Freispruch würde vielleicht noch in Deutschland verstanden werden, aber nicht mehr in Washington und New York."
Links
[1] http://www.jungewelt.de/2003/08-16/024.php [2] http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/258/16242 [3] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/12767/1.html [4] http://www.phoenix.de/ereig/exp/10603/print.html [5] http://www.wdr.de/themen/panorama/unfall/explosion_djerba/christian_g.jh tml?rubrikenstyle=panorama [6] http://www.taz.de/pt/2003/08/14/a0109.nf/text |