ND vom 7.9.02»Viele Erwartungen wurden nicht erfüllt« Studentenvertreter ziehen zwiespältige Bilanz von vier Jahren rot-grüner Hochschulpolitik Foto: Alexander Klink
Gerade unter politisch aktiven Studierenden gibt es eine heftige Debatte über die Wahlentscheidung und die Unterschiede zwischen rot-grüner und schwarz-gelber Bildungspolitik. Peter Nowak sprach mit Lars Schewe vom Vorstand des »freien zusammenschluss von studentInnenschaften« (fzs).
ND: Nach den Bundestagswahlen am 22.September könnte ein Bundesbildungsminister Möllemann Ihr offizieller Ansprechpartner sein. Schreckt Sie eine solche Aussicht? Persönlich wünsche ich mir nicht, dass Jürgen Möllemann Bildungsminister wird. Ich hoffe, dass er sich durch seine Äußerungen der letzten Zeit hinreichend diskreditiert hat. Aber unabhängig von der Person ist klar, dass mich eine solche oder ähnliche Aussicht nicht fröhlich stimmt. Allerdings wird mich das auch nicht »schrecken«.
ND: Vor einem Jahr gab es von studentischer Seite, beispielsweise dem Aktionsbündnis gegen Studiengebühren, vollmundige Erklärungen zu einer Kampagne gegen Rot-Grün. Je näher der Wahltermin rückte und eine Niederlage der Regierungskoalition im Bereich des Möglichen lag, desto leiser wurden diese Ankündigungen. Gibt es also aus studentenpolitischer Sicht auch Pluspunkte der rot-grünen Bildungspolitik? Die Frage, wie sich einzelne studentische Organisationen zu den Bundestagswahlen positionieren, ist dort jeweils heiß umstritten. Zum einen wird immer die Frage diskutiert, worin die Unterschiede zwischen einer rot-grünen und einer schwarz-gelben Bildungspolitik bestehen würden. Dies wird sehr unterschiedlich beurteilt. Als einen Punkt, wo ich persönlich Unterschiede sehen würde, möchte ich die Diskussion um die verfasste Studierendenschaft und das politische Mandat nennen. In diesem Punkt würde es unter Schwarz-Gelb Verschlechterungen geben. Unbestritten ist aber, dass die Erwartungen, die 1998 in Rot-Grün gesetzt wurden, so nicht erfüllt wurden.
ND: Welche Erwartungen gab es 1998? Von Rot-Grün wurden in erster Linie eine Bafög-Reform und die Absicherung der Studiengebührenfreiheit erwartet. Ebenso spürbare Verbesserungen im Bereich des politischen Mandats. Wir dürfen nicht vergessen, dass 1998 die Forderung nach einem generellen Studiengebührenverbot durchaus auf breite Zustimmung in der SPD traf.
ND: Zeigt nicht gerade das Beispiel Studiengebühren, dass es eigentlich keine sozialdemokratische, grüne, konservative, liberale, sondern nur noch eine neoliberale Bildungspolitik gibt? Nein, ich würde zum Beispiel unterscheiden wollen zwischen konservativ-autoritären Vorstellungen und solchen, die gemeinhin als neoliberal bezeichnet werden. Denn während die Anhänger letzterer meist direkt für allgemeine Studiengebühren oder Gutscheinsysteme nach Milton Friedman plädieren, haben die Befürworter der erstgenannten Vorstellungen meist nur Langzeitgebühren im Auge. Lesen sie mal Äußerungen von Wolfgang Clement, da springt ihnen aus jeder Zeile das Klischee vom faulen Studenten entgegen, der in Clements Augen mal hart rangenommen gehört. Da werden sie wenig über »positive Steuerungswirkungen« oder ähnlichen Kram finden. Nur gibt es praktisch keine Gegenstimmen zu diesen Vorstellungen. Und auch wenn nicht alle mit einer Stimme reden, sind die Überschneidungen schon gewaltig. Damit wird es auch für uns extrem schwierig, für unsere Vorstellungen Gehör zu finden.
ND: Ist es einzelnen Parteien und Politikern möglich, gegen diesen bildungspolitischen Mainstream überhaupt Politik zu machen? Ja, natürlich, aber eben nicht alleine. Es fehlt eine breite Vernetzung unterschiedlicher Akteure, die ein Interesse an progressiver Bildungspolitik haben. Der Bund demokratischer WissenschaftlerInnen nimmt da zur Zeit eine wichtige Rolle ein, aber insgesamt sind alle diese Ansätze leider doch sehr zarte Pflänzchen.
ND: Sehen Sie bei der PDS, die im Bundestag häufig studentische Initiativen mitgetragen hat und in zwei Bundesländern mitregiert, auch schon Anzeichen für eine Anpassung an das neoliberale Credo? Die Bundestagsfraktion der PDS ist in der Tat sehr offen für studentische Initiativen, greift auch die Diskussionen aus der Studentenschaft auf und trägt sie ins Parlament. Aber die Hochschulgesetze in Mecklenburg-Vorpommern und auch Sachsen-Anhalt sind in einigen Punkten für Studierende die restriktivsten in ganz Deutschland. So zum Beispiel in puncto Fachwechsel. Mit Interesse verfolgen wir natürlich die Entwicklung in Berlin. Insgesamt ist das Bild also durchwachsen.
ND: Ein studentischer Streik in Nordrhein-Westfalen hat in der dortigen SPD zu Beschlüssen gegen Studiengebühren geführt. Sehen Sie darin nur Taktik oder auch Ansätze für ein Umdenken? Weder noch, die Beschlüsse liegen deutlich hinter dem zurück, was 1998 gefordert wurde. Insoweit glaube ich auch nicht, dass das nur eine Taktik ist, sondern die Position in weiten Teilen der Partei widerspiegelt. Aber es zeigt auch, dass der Informationsstand über die einzelnen Modelle vollkommen unzureichend ist. Sehen Sie, ich komme aus Hessen, einem Bundesland, wo seit 1949 - zumindest von Studierenden aus Hessen - nie Studiengebühren erhoben wurden. Aber dort »verspricht« die SPD die Einführung von Studienkonten nach einem Wahlsieg bei der anstehenden Landtagswahl. Das hat doch mit Taktik nichts zu tun. Salopp formuliert: Die sind so doof, die glauben, dass sie damit uns Studierenden was Gutes tun.
ND: Der Bildungsexperte Torsten Bultmann erklärte jüngst in einem Interview, dass die Studierenden auf niemanden als sich selber vertrauen können. Trotzdem kann von einer bundesweiten Studentenbewegung nicht gesprochen werden. Haben viele Studierende das neoliberale Credo nicht längst akzeptiert? Nun ja, viele haben es nicht nur akzeptiert, viele vertreten ganz offensiv sozial-darwinistische oder elitäre Vorstellungen. Aber gut, ich denke, dass dies jetzt nicht eine spezielle Erscheinung unserer Zeit ist. Die wichtigste Aufgabe ist zunächst, Debatten einzufordern, Diskussionen an Einzelpunkten, um die Alternativen aufzuzeigen, die es offensichtlich in der Gestaltung der Bildungseinrichtungen gibt. |