Telepolis20.01.2002Keine Hoffnung auf Oslo
Peter Nowak
Viele Palästinenser haben kein Vertrauen mehr in den Friedensprozess
Es war eine bunte Menschenmenge, die sich am 30. Dezember durch Bethlehem bewegte. Unter dem Motto "Für ein offenes Jerusalem" demonstrierten mehrere hundert Menschen, überwiegend aus Italiener, Griechen und Kanadier, Richtung Checkpoint. Eine kleine Gruppe palästinensischer Jugendlicher hatte sich den Protesten angeschlossen. Wenige Stunden wurden die Antikriegsaktionen mit einer Menschenkette in der Altstadt von Ostjerusalem fortgesetzt. Doch Einwohner aus Bethlehem fehlten dort gezwungenermaßen. Denn im Gegensatz zu den Auswärtigen dürfen sie den Checkpoint nach Jerusalem nicht passieren. Nur bei Taxifahrern und Mitarbeitern der Tourismusbranche gibt es Ausnahmen.
Kaum 10 Kilometer trennen Jerusalem von Bethlehem. Doch die politischen Verhältnisse haben die Bewohner beider Städte so weit entfernt, als lägen Kontinente zwischen ihnen. Von der Bethlehemer Altstadt aus wird man Zeuge eines großen Baubooms. Überall am Horizont sind Neubauten und Kräne zu sehen. "Hier wird an israelischen Siedlungen gebaut, obwohl offiziell ein Baustopp besteht. Doch es heißt ganz einfach, dass bestehende Siedlungen lediglich ausgeweitet werden", erklärt Dr. Majed Nasser. Der Vertreter der Volksfront für die Befreiung Palästinas ( [1]PFLP) von Bethlehem hat lange Zeit in Hamburg studiert und spricht deshalb perfekt deutsch (Die PFLP soll den israelischen Tourismusminister Rejavam Zeevi im Oktober des letzten Jahrs ermordet haben, ihr Leiter Ahmed Saadat wurde deswegen von der palästinensischen Polizei am letzten Dienstag festgenommen). Zur Zeit darf er Bethlehem nicht verlassen. Die israelischen Behörden verweigern ihm die Ausreiseerlaubnis. Ohne israelisches Einverständnis aber kann sich in Palästina niemand bewegen. Für einen Großteil der Palästinenser haben die Bewegungseinschränkungen gravierende Folgen. Sie können ihre Arbeitsstellen nicht erreichen. Die Felder liegen brach. Mehrmals starben Kranke an den Checkpoint, weil die Transporte ins Hospital dort abrupt gestoppt wurden.
Die Checkpoints überziehen sowohl die Westbank als auch den Gazastreifen. "Es handelt sich dabei um ein System der totalen Kontrolle über das gesamte Land" erklärt [2]Jeff Halper. Er ist Anthropologieprofessor in Tel Aviv und im [3]Komitee gegen Häuserzerstörungen aktiv. Anhand einer Karte von Jerusalem und der Westbank vermittelt er den Teilnehmern der [4]Alternativ Touristik Group ein von der offiziellen Version abweichendes Israelbild.
Der [5]Groß-Jerusalem-Plan der israelischen Regierung wurde schon unter Barak konzipiert und realisiert. Ziel ist der Bau von Siedlungen, die wie ein Block die arabischen Dörfer einschließen. Halper unterscheidet drei unterschiedliche Typen von Siedlern. Eine Minderheit gehört zu den politischen oder religiösen Fanatikern, die den Kampf gegen die Araber mit biblischen und religiösen Motiven untermauern. Ihr Ziel ist eindeutig die Vertreibung aller Araber. Die Hochburg dieser Siedler ist [6]Hebron. Die Siedler im Gazastreifen hingegen sind überwiegend Unternehmer im landwirtschaftlichen Sektor. Sie leben in Israel und kommen nur gelegentlich aus geschäftlichen Gründen in die ansonsten leerstehenden Siedlungen.
Die vorwiegend von osteuropäischen Einwanderern bewohnten Siedlungen um Jerusalem hingegen gehören zu den begehrtesten Wohngegenden. Neben preiswerten, komfortablen Wohnraum zeichnen sich die Siedlungen durch eine gute Infrastruktur mit Saunen, Bibliotheken und Gemeinschaftszentren aus. Anders als die politisch oder religiös motivierten Siedler würden die Bewohner der Jerusalemer Siedlungen wegziehen, wenn sie Wohnungen zu ähnlichen Konditionen woanders bekämen.
Verbunden sind die Siedlungen mit einem Netz von modernen, gut ausgebauten Straßen, die wiederum ins israelische Kernland führen. Diese Straßen werden in der Regel nur von den israelischen Siedlern, ihren Verwandten und Freunden sowie den israelischen Soldaten benutzt. Halper fasst die Überlegungen der israelischen Regierung so zusammen: "Es reicht, wenige zentrale Punkte zu kontrollieren und du kontrollierst das gesamte Land." Die palästinensischen Wohngebiete wären dann ein leicht zu kontrollierender unzusammenhängender Flickenteppich.
Diese [7]Bantustaatlösung sei das Ergebnis der Osloer Friedensprozesse, sagt Dr. Nasser: "Dadurch entstand in Israel Vorstellung, es könnte einen Friedensprozess ohne Konzessionen in der Siedlungs- und Flüchtlingsfrage geben." Doch mittlerweile ist Ernüchterung auf beiden Seiten eingetreten. Die israelische Friedensbewegung war seit dem Amtsantritt der Sharon-Regierng kaum existent und hat sich erst in den letzten Wochen wieder zu rühren begonnen. Auf palästinensischer Seite wiederum bekommen die Kräfte Auftrieb, die den Friedensprozess von Oslo von Anfang an kritisierten. Davon profitieren einerseits islamische Gruppen, aber auch die linke PFLP. Nach Meinungsumfragen steht sie hinter der Fatah und der Hamas an dritter Stelle in der Gunst der Palästinenser. Sie vertritt immer noch die Forderung nach einem einheitlichen säkularen, demokratischen Staat, der das Lebensrecht aller Bewohner garantiert. So utopisch diese Forderung auf den ersten Blick erscheint, scheint sie doch zukunftsfähiger, als die Etablierung einer neuen palästinensischen Elendsökonomie in einem "Bantustanstaat". |