Telepolis vom 18.06.02Lauschen zur Gefahrenabwehr
Peter Nowak
In Thüringen sollen künftig ganz legal Telefone präventiv abgehört werden
"Einer muss den Anfang machen." So kontert [1]Thüringens Innenminister Christian Köckert (CDU) Vorwürfe von Bürgerrechtsgruppen und Datenschützern. In den letzten Wochen war das Erfurter Ministerium verstärkt Adressat solcher kritischer Einwürfe. Anlass sind Änderungen des Polizeiaufgabengesetzes, die es den Ordnungshütern bundesweit erstmals ermöglichen sollen, Telefongespräche auf Grund des bloßen Verdachts abzuhören, jemand könnte eine Straftat begehen. Die Maßnahme muss von einem Richter angeordnet werden.
Vage blieb Köckert bei den Kriterien, nach denen das präventive Abhören von Telefonen angeordnet werden soll, wenn doch noch gar keine Straftat passiert ist. Er sprach lediglich von konkreten Anhaltspunkten für die Planung einer Straftat. Bisher war das Belauschen von Telefongesprächen gesetzlich nur möglich, wenn damit die Aufklärung einer schon begangenen Straftat ermöglicht wurde.
Seit Jahren wurde die behördliche Praxis beim Abhören von Telefonen von Bürgerrechtsgruppen mit Argwohn verfolgt. Diese "älteste der technikgestützten heimlichen Überwachungsmethoden" wird von den Verfolgungsbehörden als derart belanglos angesehen, dass selbst statisches Material darüber fehlt, [2]kritisierte das Magazin Cilip schon 1998. Da ist es verständlich, dass die Alarmglocken klingeln, wenn jetzt die Befugnisse zum Telefonabhören noch ausgeweitet werden. Zumal abzusehen ist, dass Thüringen eine Vorreiterrolle einnimmt und sich bald weitere unionsgeführte Länder diese Regelungen zu Eigen machen könnten. Schließlich macht sich in Vorwahlzeiten Law-and-Order-Politik immer gut.
Vom Thüringischen Datenschutzbeauftragten hat Köckert nichts zu befürchten. Der [3]fand die Gesetzesänderungen "im Zuge der Abwehr einer dringenden Gefahr für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person aus meiner Sicht vertretbar". Trotzdem ist es noch längst nicht ausgemacht, ob die Gesetzesänderungen Bestand haben werden. So wiesen bei einer Anhörung im Landtag mehrere von den Oppositionsparteien berufene Verfassungsexperten darauf hin, dass der Telekommunikationsüberwachung aus dem Hause Köckert Urteile des Bundesverfassungsgerichts entgegen stehen könnten. Selbst konservative Polizeiexperten, wie der ehemalige Berliner CDU-Innensenator Eckehardt Werthebach, bestreiten den Länderparlamenten das Recht, Regelungen zur Telekommunikationsüberwachung einführen zu können, weil dies in die Kompetenz des Bundes falle.
Links
[1] http://www.thueringen.de/de/ontothetop.html#politisch/landesregierung/mi ntim/ [2] http://www.cilip.de/ausgabe/60/telefon.htm [3] http://www.datenschutz.thueringen.de/tb4/tb4_7.htm#polizei71 |