frankfurter Rundschau vom 16.10-02Jetzt muss sich die Polizei in die Akten schauen lassen Gericht vertagt Prozess gegen Chef von Berliner Beratungsstelle, der Flüchtling schützen wollte
Von Peter Nowak (Berlin)
Der Prozess gegen den Leiter der Berliner Beratungsstelle für politisch Verfolgte "Xenion", Dietrich Koch, ist am Dienstag kurz nach Beginn auf unbestimmte Zeit vertagt worden. Koch ist wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt angeklagt. Wie sein Anwalt Rüdiger Jung erklärte, fehlten dem Amtsgericht Berlin zentrale Unterlagen, um zu beurteilen, ob die Polizeiaktion, um die es geht, überhaupt rechtens war.
Der Chef der Beratungsstelle "Xenon" hatte am 24. November 2000 der Polizei den Zutritt zu den Räumen der Einrichtung verwehrt. Das Einsatzkommando verschaffte sich auf der Suche nach dem kurdischen Flüchtling Davut K. daraufhin gewaltsam Einlass. Der Gesuchte war auf dem Weg zum Therapiezentrum in eine Fahrkartenkontrolle geraten. Bei der nachfolgenden Polizeikontrolle wurde festgestellt, dass seine Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen war.
Als die Polizei in das Therapiezentrum eindrang, sprang K. in Panik aus einem Fenster im dritten Stock und verletzte sich schwer. Erst nach Monaten konnte er das Krankenhaus verlassen.
Der Fall sorgte damals für großes Aufsehen. Flüchtlingshilfe-Einrichtungen protestierten gegen den Polizeieinsatz, durch den sie ihre Arbeit mit oft traumatisierten Menschen in Frage gestellt sahen. Für K. hatte das Interesse positive Folgen: Seinem Asylantrag wurde stattgegeben. Ein deutsches Fernsehteam konnte sich in der Türkei von der Echtheit der von K. vorgelegten Dokumente überzeugen, aus denen hervorgeht, dass er gefoltert worden war. Sie waren zuvor vom Gericht als Fälschungen zu den Akten gelegt worden.
Der Angeklagte Koch verteidigte sein Verhalten vor dem Prozess in einem Offenen Brief. "Unsere Mitarbeiter haben nicht mehr und nicht weniger als die Schutzverpflichtung unserer Verfassung gegenüber Folteropfern wahrgenommen."
Am Dienstag kam er zunächst nicht dazu, seine Verteidigungsrede zu halten. Laut Rechtsanwalt Jung ist bisher nicht einmal geklärt, ob überhaupt ein Haftbefehl gegen K. vorgelegen habe und der Polizeieinsatz gerechtfertigt war. Zur Klärung muss das Gericht erst entsprechende Akten anfordern. Mit einer Einstellung des Prozesses ist aber nicht zu rechnen, da die Generalbundesanwaltschaft ihr Interesse an dem Fortgang bekundet hat. |