Telepolis11.04.2002Schwierige Positionierung
Peter Nowak
Während unter den Linken ein Streit um die Position im Nah-Ost-Konflikt tobt, geht die Regierung geräuschlos auf Distanz zu Israel
Nah-Ost-Konflikt erhitzt die Gemüter auch in Berlin zunehmend. Schon seit Wochen tobt sich der Kampf zwischen Pro-Palästina und Pro-Israel-Positionen auf den Häuserwänden in Friedrichshain und Kreuzberg sowie auf den Internetseiten des unabhängigen Netzwerks [1]Indymedia aus. Politische Beobachter befürchteten schon lange, dass es nicht beim verbalen Schlagabtausch bleiben würde.
Am Mittwochabend war es dann so weit. Palästinensische Jugendliche sprengten eine Veranstaltung der antideutschen Gruppe [2]Bahamas. Unter dem Titel [3]Der unheimliche Aufmarsch sollte über die angebliche antisemitische Palästina-Solidarität diskutiert werden. Wie kaum ein Thema sonst, hat der Streit um eine Positionierung im Nah-Ost-Konflikt die randständige Berliner Linke noch einmal kräftig durcheinander gewirbelt. An dieser Frage lösen sich Wohngemeinschaften auf und langjährige Freundschaften zerbrechen. "Solidarität mit Palästina" versus "Lang lebe Israel": auf diese beiden Parolen könnte man den Streit reduzieren.
Während die einen die israelische Besatzungspolitik anprangern und sich mit der palästinensischen Bevölkerung solidarisieren, sehen die anderen Israel als einziges Refugium für jüdische Menschen gegen den Antisemitismus in Gefahr. Besonders Deutschland wolle mit seiner Parteinahme für die Palästinenser ein halbes Jahrhundert nach Auschwitz seine Vergangenheit endgültig entsorgen, so der Vorwurf der pro-israelischen Linken.
Am kommenden Samstag könnten die Protagonisten der hoch emotionalisierten Debatte in Berlin aufeinander prallen. Zur [4]Palästina-Solidaritätsdemonstration erwarten die Veranstalter bis zu 15.000 Teilnehmer. Arabische Menschen aus ganz Deutschland sollen anreisen. Zeitgleich will in Sichtweite ein Bündnis gegen "Antisemitismus und Antizionismus" [5]Solidarität mit Israel zeigen . Die Polizei will ein Aufeinandertreffen der zerstrittenen Gruppen verhindern und hat massive Präsenz angekündigt.
Während der Streit um eine Positionierung im Nah-Ost-Konflikt für Aufruhr im linken Makrokosmos sorgt, beginnt auf der Ebene der offiziellen Politik relativ geräuschlos eine Neuformulierung deutscher Interessen. Israel ist zwar weiter ein Bündnispartner. Doch das Geschäft mit den arabischen Ländern will man sich davon nicht beeinträchtigen lassen, könnte die inoffizielle Devise lauten. Nicht nur der FDP-Selbstdarsteller und Vertreter arabischer Wirtschaftsinteressen [6]Jürgen W. Möllemann, sondern auch führende CDU-Politker wie der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm und der außenpolitische Sprecher Karl Lamers äußern ihre Kritik an der aktuellen israelischen Politik vehement.
Mit dem jüngsten [7]Nah-Ost-Plan von Bundesaußenminister Fischer, der von Bundeskanzler Schröder ausdrücklich mitgetragen wird, ist auch ein Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Nahen Osten kein Tabuthema mehr. "Einige Jahre zuvor wären solche Einlassungen schlicht nicht möglich gewesen", schreibt ein Kommentator der [8]Frankfurter Rundschau. Heute lösen sie keine große Aufregung aus. Die guten Beziehungen zu Israel werden natürlich weiter gepflegt. Mit einer Solidaritätskundgebung für Israel in Frankfurt/Main wurden die deutsch-israeische Freundschaft am Mittwoch zelebriert. Dort sprach neben dem israelischen Botschafter Shimon Stein auch der Bundesinnenminister Otto Schily.
Links
[1] http://www.indymedia.de [2] http://www.indymedia.de/2002/04/19846.shtml [3] http://www.redaktion-bahamas.org [4] http://members.rdsoftware.de/VPG/ [5] http://www.gegenkundgebung.de.vu/ [6] http://www.juergenwmoellemann.de/ [7] http://www.bundesregierung.de/top/dokumente/Artikel/ix_74788.htm?templat e=single&id=74788_1499&script=1&ixepf=_74788_1499 [8] http://www.fr-aktuell.de/
Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/12296/1.html |