TELEPOLIS14.03.2002 Exhibitionismus im Parlament
Peter Nowak
Reaktionen auf Gehrkes Offenheit waren milde, möglicher Konflikt der KSK mit dem Völkerrecht
Seltsames geschah kürzlich im deutschen Bundestag. Da beschuldigt der CDU-Bundestagsabgeordnete [1]Paul Breuer seinen Kollegen [2]Wolfgang Gehrcke von der PDS sich "in exhibitionistischer Weise" geäußert zu haben. Doch Gehrcke hat nicht etwa im Parlament die Hosen runtergelassen. Er hat öffentlich gemacht, was die Obleute des Verteidigungs- und des Außenpolitischen Ausschuss von der Bundesregierung über das Agieren deutscher Spezialkräfte in Afghanistan erfahren hatten.
Der Auftrag der KSK bestand in Spezialaufklärung und dem Zugriff auf Taliban- und Al-Quaida-Strukturen sowie der Lahmlegung von deren Versorgungs- und Fluchtwege. Obwohl diese Informationen der Öffentlichkeit bisher offiziell vorenthalten worden waren, hielt sich die Überraschung über Gehrckes Enthüllungen in Grenzen. Schließlich war schon Wochen vorher in vielen Zeitungen zu lesen, was Gehrcke dann nur noch mal bestätigt hat. Die Reaktionen auf Gehrckes Aktion waren geteilt.
Die Parlamentskorrespondentin der [3]taz sah darin einen Gefallen für Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping und [4]verteidigte dessen restriktive Informationspolitik. Das ist eine erstaunliche Position für eine Zeitung, die einst als Organ der Gegenöffentlichkeit jedes Herrschaftswissen ablehnte. Die PDS wiederum wollte sich mit ihrer Aktion als eine Partei präsentieren, die doch noch nicht so stromlinienförmig auf die Regierungsbeteiligung zusteuert, wie sie spätestens nach ihrer Regierungsbeteiligung in Berlin nicht nur von ihren parteiinternen Kritikern wahrgenommen wird.
Die Reaktionen auf Gehrckes Offenheit waren milde. Außer einen Tadel aus der Bundesregierung und der CDU/CSU gab es keine weiteren Konsequenzen. Sogar an den vertraulichen Sitzungen kann Gehrcke weiterhin teilnehmen. Der Grund dürfte neben dem geringen Neuigkeitswert seiner Enthüllungen auch daran liegen, dass Scharpings Informationspolitik quer durch alle Fraktionen kritisiert wurde ( [5]New York Times: Terroristen benutzen Email).
Das Monieren von fehlenden Informationen sagt noch nichts über die Bewertung der Einsätze der deutschen Spezialkräfte. Die könnten bei ihrer Jagd nach Taliban- und Al-Qaida-Kämpfern mit dem Völkerrecht in Konflikt kommen, meinte zumindest der Hamburger Völkerrechtler [6]Norman Paech kürzlich in der [7]Frankfurter Rundschau. Es wäre eindeutig ein Kriegsverbrechen, wenn die Bundeswehrtruppe gefangene Islamisten an die USA überstellen würden. Der Grund liege an der Weigerung der USA, diese Männer als Kriegsgefangene zu betrachten und entsprechend zu behandeln. Damit verletzte die USA die Regeln der Genfer Konvention.
Auch die Luftangriffe der USA und ihrer Verbündeten sieht Paech von Völkerrecht nicht gedeckt. Besonders der Einsatz von thermobarischen Bomben, die durch Druck und enorme Hitze alles Leben in weitem Umfeld vernichten ( [8]USA werfen erste Thermo-Bomben auf Afghanistan), sei eine grobe Verletzung der Genfer Konvention. Verbündete, die sich an einer solchen Offensive beteiligen, seien nicht nur politisch sondern auch rechtlich mit haftbar, so Paech. Allen rechtstheoretischen Überlegungen zum Trotz wäre es natürlich eine weitere Frage, wer sie denn anklagen würde.
Links
[1] http://www.bundestag.de/mdb14/bio/B/breuepa0.html [2] http://www.wolfgang-gehrcke.de/ [3] http://www.taz.de [4] http://www.taz.de/pt/2002/03/09/a0128.nf/text [5] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/glosse/12022/1.html [6] http://www.hwp-hamburg.de/fach/fg_jura/dozentinnen/paech.htm [7] http://fr-aktuell.de/fr/ [8] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/11988/1.html |