ND 23.05.02Deutschland führt Krieg Heftige Kritik nach allen Seiten Buchvorstellung und Diskussion in Berlin: Deutschland führt Krieg
Von Peter Nowak
Während am Berliner Alexanderplatz die Straßenreinigung die letzten Spuren der bundesweiten Großdemonstration gegen den Besuch von US-Präsident Bush beseitigte, wurde im nur wenige Kilometer entfernten Kreuzberger Veranstaltungszentrum Kato am Dienstagabend ein Buch vorgestellt, dem man eine große Verbreitung gerade unter den Anhängern der Friedensbewegung wünschen kann. Dort wird nämlich, die auch bei der Großdemonstration weitgehend ausgeblendete Rolle Deutschland bei den aktuellen Kriegen thematisiert. Schon Ende Januar hatte die Monatszeitung »Konkret« zu einem Kongress unter dem Titel »Deutschland führt Krieg - gestern, heute, morgen« nach Hamburg geladen. Die Referate sind in dem vom »Konkret«-Redakteur Jürgen Elsässer herausgebenes Buch veröffentlicht und durch weitere Beiträge ergänzt worden. Hier haben sich entschiedene Gegner des sogenannten Anti-Terror-Krieges zu Wort gemeldet, die allerdings auch den Mainstream der Friedensbewegung kritisieren. Mit Elsässer stellten der Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza und der Hamburger Publizist Thomas Ebermann ihre Thesen zur Diskussion. Nicht der 11. September 2001 sondern der 9. November 1989 ist für Gremliza das entscheidende Datum, dass eine politische Zäsur einleitete. Seit dieser Zeit ringe eine von Deutschland dominierte EU mit den USA um innerimperialistischen Einfluss. Über den Stand dieser deutsch-amerikanischen Beziehungen gab es unter den Autoren Differenzen. Während Gremliza von einem Kalten Krieg sprach, in dem »die Kriegserklärung auch als Solidaritätsadresse daherkommen kann«, sieht Elsässer die deutschen Eliten in einem Komplizenverhältnis zu den USA - allerdings nicht in Vasallentreue, wie kurzschlüssig auch große Teile der Friedensbewegung unterstellen. Vielmehr sei den deutschen Eliten klar, dass sie momentan ihre eigenen Interessen am Besten im Bündnis mit den USA umsetzen könnten; dies indes könne sich aber rasch ändern. Elsässer verwies darauf, dass sich im arabischen Raum die Interessenunterschiede zwischen »EU-Deutschland« und den USA schon heute bemerkbar machen. Bei allen Unterschieden im Detail ist den drei Autoren an einer starken Antikriegsbewegung gelegen, die sich die Losung »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« verpflichtet fühlt. Das impliziert, dass eine Demonstration, die sich in Parolen und Transparenten fast ausschließlich auf den US-Präsidenten bezieht, kritisiert wird. Ebermann ging mit einigen Standardargumenten der Friedensbewegung ins Gericht, so den positiven Bezug wahlweise auf die UNO oder die Genfer Konvention. Doch wesentlich schärfer grenzte er sich vor den »linken Bellizisten« ab, jenen Teil der »antideutschen Strömung«, der sich nach dem 11. September zu Befürwortern der westlichen Zivilisation gemausert hat und den US-Präsidenten höchstens dafür kritisiert, dass er nicht noch entschiedener Krieg führt. Zum Abschluss gab Elsässer seine heute schon altmodisch anmutende Ansicht kund, Teile der Bevölkerung mittels Aufklärung zu einer fundierten Antikriegsposition zu verhelfen. Die große Beteiligung an den Demonstrationen in Berlin scheint seinem Optimismus Recht zu geben.
Jürgen Elsässer (Hg.): Deutschland führt Krieg. Seit dem 11. September wird zurückgeschossen, Konkret-Verlag, Hamburg 2002. 263S., br., 14,50. |