ND vom 25.01.02 Die Arisierer blieben Enteignung der Juden und »Wirtschaftswunder«
Von Peter Nowak Es begann mit Zorn«, so der Filmproduzent und ehemalige Rowohlt-Pressechef Wolfgang Mönninghoff. Sein neustes Buch, das die Enteignung der Juden in der NS-Zeit zum Thema hat, habe er aus Betroffenheit, Trauer, Wut und Enttäuschung über eine scheinbar heile Nachkriegsjugend geschrieben. »Ich bin 1940 in Düsseldorf geboren und aufgewachsen, habe also die Entwicklung des Wirtschaftswunders aus ziemlicher Nähe miterlebt und manchen der Akteure durchaus ganz naiv bewundert«, bekennt er. Obwohl kein Historiker, gelingt es ihm anschaulich, die lange beschwiegene Geschichte der so genannten Arisierung in NS-Deutschland zu vermitteln. Der Begriff »Arisierung« hat sich auch in der Nachkriegszeit weitgehend erhalten, obwohl er ein demagogisches Wort aus dem NS-Jargon war, mit dem die dem Massenmord vorangehende Ausraubung der jüdischen Bevölkerung bemäntelt wurde. Die Namen der Firmen, die sich an der »Arisierung« bereicherten, lesen sich wie das Who is Who der deutschen Industrie- und Geschäftswelt: Karstadt, Horten, Quelle, Neckermann, Abs, Flick und Mannesmann sind nur einige Beispiele. Viele dieser Unternehmen waren in den letzten Jahrzehnten ins Blickfeld öffentlicher Auseinandersetzungen geraten. Doch nicht nur die Großen bereicherten sich an ihren enteigneten, deportierten und ermordeten jüdischen Mitbürgern. »Staat und Bank - Hand in Hand«, titelte die Zeitung »junge welt« ihre Rezension des Buches und reproduzierte damit ein lange gehegtes linkes Vorurteil, das Mönninghoff gerade auszuräumen versucht: Der Raub jüdischen Eigentums erstreckte sich eben nicht nur auf die großen Namen der Geschäftswelt, wie spätestens seit Wolfgang Dreßens bahnbrechender Arbeit »Deutsche verwerten jüdische Nachbarn« bekannt sein müsste. Vom Kölner Oberbürgermeister über das juristische Seminar der Bonner Universität bis zur kinderreichen deutschen Arbeiterfamilie machten alle ihr Schnäppchen mit den Eigentum der deportierten Juden. Mönninghoff weist auch auf regionale Unterschiede hin. So war man in München und Nürnberg immer ein wenig beflissener bei der Durchführung der antijüdischen Maßnahmen als im übrigen »Reich«. Das ist allerdings kein Persilschein für das als weltoffen geltende Hamburger Patriziat. Emerentia Krogman, Mitglied einer der angesehensten Familien dieser Hansestadt, stand nicht allein mit ihrer Meinung, die sie am 30. Januar 1933 ihrem Tagebuch anvertraute. »Hitler ist Reichskanzler! Es ist wahr! Marxismus lebe wohl! Kommunismus lebe wohl! Parlament lebe wohl! Jud lebe wohl! - Jetzt kommt Deutschland!« Der Hamburger Historiker Frank Bajohr kam auf Grund seiner Recherchen zu dem Ergebnis: »Das Eigentum von insgesamt 30000 jüdischen Haushalten ist in Hamburg versteigert worden - und allzu viele machten mit.« Mönninghoff geht in seinem Buch auch kurz und prägnant unter der Überschrift »Der >Führer< ging - die Nazis blieben« auf die Nachkriegszeit ein. »Es war eine bittere Erfahrung vieler Opfer, daß nicht einmal das Personal ausgewechselt wurde. Derselbe Beamte, der die Verwaltung des restlichen Besitzes geregelt hatte, saß nun als >Fachmann für Judensachen< im >Wiedergutmachungs<AMT.« Einer von ihnen war Ernst Féaux de la Croix, der in der Nazizeit für die Akademie für Deutsches Recht eine Denkschrift über »Rasse, Volk, Staat und Raum in der Begriffs- und Wortbildung« verfasst hatte, um dann in der Bundesrepublik als Ministerialbeamter an der Entstehung der Entschädigungsgesetze (!) maßgeblich mitzuwirken. Doch noch 1985 schrieb er in einer Publikation ganz im alten Jargon: Das »Weltjudentum« habe Konrad Adenauer die Hand geführt und die »jüdische Presse« hätte die Deutschen mit Bombendrohungen und Massendemonstrationen erpresst. Wer Mönninghoffs Buch gelesen hat, weiß anschließend, dass de la Croix leider kein Einzelfall war. |