Telepolis 25.04.2002Ein Hauch von Stammheim am Main
Peter Nowak
Der Al-Qaida-Prozess in Frankfurt
So richtig froh konnte die Staatsanwaltschaft über die Aussagebereitschaft des Angeklagten Auerobi Beandali nicht sein. Der Algerier ist einer von fünf Angeklagten, die von der Bundesanwaltschaft beschuldigt werden, eine erste funktionierende Al-Qaida-Zelle auf deutschen Boden gebildet zu haben.
Schon vor Prozessauftakt in der letzten Woche gab es hinter den Kulissen Streit. So wollte die Bundesanwaltschaft das Verfahren in den Prozess-Bunker von Stuttgart-Stammheim verlegen, der in den 70er für die Verfahren gegen die Gründergeneration der Rote Armee Fraktion berühmt-berüchtigt wurde. Die Sicherheit sei im Frankfurter Oberlandesgericht nicht gewährleistet, hieß es zur Begründung. Doch die Verteidiger der Angeklagten sahen darin eine Vorverurteilung und lehnten eine Verlegung vehement ab. Das Gericht gab ihnen Recht. Zu Prozessauftakt erkämpften sich die Fernsehsender RTL und ZDF mit einer Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht die Erlaubnis, im Gerichtssaal filmen zu dürfen. Manche Szenen aus den ersten Prozesstagen erinnerten tatsächlich an die 70er Jahre.
So störte am ersten Prozesstag einer der Angeklagten das Verfahren mit lauten Zwischenrufen und antisemitischen Tiraden in arabischer Sprache, so dass er schließlich ausgeschlossen wurde. Im Gegensatz zu diesen renitenten Angeklagten spielte Auerobi Beandali von Beginn an den Kooperativen. Schon beim ersten Prozesstag distanzierte er sich von den Anschlägen des 11.September in den USA mit deutlichen Worten. "Ich habe mit Entsetzten zur Kenntnis genommen, was im Namen unseres Glaubens begangen wurde". Es sei weder in Afghanistan, noch in Palästina oder den USA hinnehmbar, dass Unschuldige Schaden nehmen, fügte er hinzu. Doch Beandalis Aussagen könnten den Anklagebehörden noch Kopfzerbrechen machen. Denn von den Anklagepunkten bleibt nicht viel übrig, wenn das Gericht seinen Aussagen Glauben schenken sollte. So bestreitet er jede Verbindung zum Al-Qaida-Netzwerk. Sein mehrmonatiger Aufenthalt im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet sei rein privater Natur gewesen.
Auch das Anschlagsziel der Gruppe stimmt nach seinen Aussagen nicht mit der Anklage überein. Man habe im Januar 2001 einen Bombenanschlag auf die Synagoge von Straßburg geplant, offenbarte [1]Beandali. Bisher ist die Staatsanwaltschaft davon ausgegangen, dass der Wochenmarkt von Straßburg das Ziel des Anschlags sein sollte. Die Ermittlungsbehörden werden erklären müssen, warum sie naheliegende antisemitische Hintergründe nicht selber mit berücksichtigt haben. Dabei könnten in der Wohnung der Angeklagten gefundene Fotos die Ermittler in die Irre geführt haben. Die seien aber nur aufgenommen worden, weil der Fotograph die Synagoge nicht gefunden hat und statt dessen eine Kirche am Wochenmarkt aufgenommen hat, wenn man den redseligen Angeklagten Glauben schenkt.
Über den Wahrheitsgehalt der Aussagen haben Experten noch kein abschließendes Urteil gefällt. Allerdings hat die Anklagebehörde schon auf die Widersprüche aufmerksam gemacht. So behauptete der geständige Angeklagte, dass es nicht das Ziel des geplanten Anschlags gewesen sei, Menschen zu verletzen. Allerdings hat das Bundeskriminalamt Nagelbomben, die zu besonders schweren Verletzungen führen, bei der Festnahme in der Wohnung der Angeklagten gefunden.
Die Verteidigung wird mit Sorge beobachten, welche [2]Auswirkungen die aktuellen Festnahmen mutmaßlicher militanter Islamisten der Gruppe El Talwid in Deutschland und anderen europäischen Staaten auf die Prozessführung haben wird. Auch hier werden die Anwälte Reminiszenzen an die Stuttgarter Prozesse der 70er Jahre verhindern wollen. Schließlich wurden damals mit zahlreichen Sondergesetzen die Rechte der Angeklagten und ihrer Verteidiger eingeschränkt. In dieser Zeit warnten Linke und Liberale vor einer allgemeinen "Terrorismushysterie", die durch unbewiesene Bedrohungsszenarien hervorgerufen werden. Heute beteiligt sich ein Teil der Restlinken selber daran. So wird den Ermittlungsbehörden von der linken Wochenzeitung [3]Jungle World vorgeworfen, den antisemitisch motivierten islamistischen Terror zu verharmlosen. In dem Artikel wird Deutschland gleich ohne weitere Beweise "zum heimlichen Stützpunkt auf der ganzen Welt agierender Islamisten" erklärt.
Links
[1] http://focus.de/G/GN/gn.htm?snr=104656&streamsnr=7&streamsnr=7 [2] http://www.berlinonline.de/aktuelles/berliner_zeitung/politik/.html/1376 04.html [3] http://www.jungle-world.com/_2002/18/08a.htm |