Telepolis 10.11.01Bittere Pille
Peter Nowak
Die Grünen haben die Sicherheitsgesetze akzeptiert, weil ihnen Schily bei den Zuwanderungsgesetzen einige Zugeständnisse machte
Das [1]Antiterrorgesetz der Bundesregierung ist weiterhin in der [2]Kritik vieler Bürgerrechtsgruppen und Verbände. Doch das [3]Zuwanderungsgesetz bleibt von dieser Kritik meistens ausgesperrt oder bekommt gar Lob von ungewohnter Seite. So fand auch der linksgrüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele anerkennende Wort über das Gesetz, nachdem sich das Bundesinnenministerium bereit erklärt hatte, geschlechtsspezifische und nichtstaatliche Verfolgungen als Asylgrund anzuerkennen.
Das wurde von Flüchtlings- und Migrantengruppen seit Jahren gefordert und würde beispielsweise für von dem Talibanregime verfolgte Frauen aus Afghanistan Verbesserungen ihres Status bedeuten. Bisher wurde eine solche Repression nicht als Fluchtgrund akzeptiert, weil die Taliban für die Ausländerbehörden keine staatliche Autorität darstellten und folglich auch keine staatliche Verfolgung ausüben konnten. Mit der gleichen Begründung wurden in den 90er Jahren zahlreiche Asylanträge von Algeriern abgelehnt, die vor dem Terror islamistischer Gruppen das Land verlassen mussten.
Trotz dieses Durchbruchs im Bundeskabinett ist eine reale Umsetzung noch längst nicht sicher. Schließlich muss der unionsdominierte Bundesrat zustimmen. "Eine Zustimmung seitens der unionsgeführten Länder wird es nur geben, wenn man das Gesetz von Grund auf überarbeitet und es an der Beschlusslage der Union orientieren würde. Das ist aber nach der derzeitigen Lage so gut wie ausgeschlossen" erklärte der CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosdorf in der [4]TAZ. Folglich ist es durchaus nicht unrealistisch, dass das Zuwanderungsgesetz in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden kann.
Anders ist es bei dem Antiterrorpaket, dass auch von den CDU-regierten Ländern mitgetragen wird und das auch auf ausländerrechtlichen Gebiet massive Restriktionen vorsieht. Auch den grünen Koalitionspartner zu bisher von ihnen heftig bekämpften Grundrechtseinschränkungen zu bewegen, war schließlich der Zweck von Schilys plötzlichen Nachgeben bei der Anerkennung der Fluchtgründe. Die grünennahe TAZ [5]spricht von einem politischen Deal: "Die Grünen stellen ihre Vorbehalte gegen das Sicherheitspaket des Innenministers zurück und bekommen dafür ein vorzeigbares Zuwanderungsgesetz."
Der Bundesausländerbeirat nannte den Entwurf einen "Kuhhandel zu Lasten der Migranten". Der Vorsitzende der Flüchtlingshilfsorganisation [6]Pro Asyl, Günter Burkhardt, hält den Kompromiss für teuer erkauft und will nach differenzierter Betrachtung nicht in die grünen Lobeshymnen einstimmen. Das Zuwanderungsgesetz enthalte "neben wichtigen positiven Regelungen wie der Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung gravierende Lücken und Verschlechterungen". So fehle die von Flüchtlingsorganisationen seit Jahren geforderte Härtefallregelung, obwohl dazu von der schleswig-holsteinischen Landesregierung ein präziser Gesetzesvorschlag erarbeitet wurde. Für geduldete Flüchtlinge soll ein generelles Ausbildungs- und Arbeitsverbot eingeführt werden. Auch mehr als ein Jahr geduldete Flüchtlinge sollen künftig ohne vorherige Ankündigung abgeschoben werden. Die bisherige Regelung sah eine Ankündigung vor.
Auch zahlreiche [7]Migrantengruppen kritisieren das Zuwanderungsgesetz grundlegend. Es diene lediglich den Interessen der deutschen Wirtschaft nach ausländischen Arbeitskräften, aber nicht den Flüchtlingen, lautet der Tenor ihrer Ablehnung. Sie hatten Ende September mit einer Aktionswoche und einer bundesweiten Demonstration gegen den ursprünglichen Gesetzesvorschlag mobilisiert. Doch ihre fundamentale Kritik an diesem Gesetz halten sie auch nach den Modifizierungen aufrecht.
Dabei sind die Flüchtlinge auch nicht breit, mit Verweis auf die Vorschläge aus der CDU/CSU-Fraktion das vermeintlich kleinere Übel zu akzeptieren. Tatsächlich haben in den letzten Wochen Unions-Politiker mit Vorschlägen schon einen Vorgeschmack auf den Bundestagswahlkampf 2002 gegeben. "Wir müssen Ausländer, die verdächtig sind, terroristische Verbindungen zu unterhalten, unverzüglich festsetzen und so lange wie nötig in Gewahrsam halten", sagte Erwin Marschewski der "Bild am Sonntag". Die Vollzugsbehörden dürften "nicht länger auf richterliche Anordnungen angewiesen sein". Vielmehr müssten Erkenntnisse von Polizei und Geheimdiensten ausreichen. Er sprach sich dafür aus, die Verdächtigen in Gefängnissen oder leer stehenden Kasernen unterzubringen. |