junge Welt06.01.2001Terrorlexikon Türkei Selahattin Celiks Buch über die türkischen Repressionsorgane ist ein Nachschlagewerk _________________________________________________________________
*** Selahattin Celik: Türkische Konterguerilla - Die Todesmaschinerie. Mezopotamien Verlag; Köln 1999, 488 Seiten. (Kann ab sofort unter folgender Adresse für 20 DM in Scheinen bzw. Verrechnungsscheck bezogen werden: Gruppe mücadele, c/o AStA FU-Berlin, Otto-Simson-Str. 24, 14195 Berlin)
Der Angriff auf die hungerstreikenden Gefangenen in der Türkei, der mehr als 30 Tote und viele Schwerverletzte forderte, hat für kurze Zeit den Blick der Öffentlichkeit auf die Repressionsorgane des NATO-Landes Türkei gelenkt. Die Tatsache, daß schon seit dem 20. Oktober fast 1 000 politische Gefangene in einen unbefristeten Hungerstreik getreten waren, hat die Presse kaum interessiert. Das bittere Fazit der Istanbuler Tayad-Aktivistin Agdas Sükran hat sich leider bewahrheitet: »Erst wenn sie die Gefangenen in Särgen aus dem Gefängnis tragen, stürzt sich die Weltpresse wie Aasgeier darauf.«
Bereits seit 1999 gibt es in deutscher Sprache ein Buch, das man ohne Übertreibung als Nachschlagewerk über die Repression in der Türkei bezeichnen kann. Obwohl etwas pathetisch formuliert, faßt der Klappentext gut den Inhalt dieses Buches zusammen: »Dieses Buch ist ein Katalog des Grauens über zerstörte Städte und dem Erdboden gleichgemachte Dörfer, über Leichen, die ohne Kopf auf die Müllhalden geworfen wurden, über jene, die vergewaltigt wurden, über Tausende Menschen, die auf offener Strasse getötet wurden.« Ein Buch also, das die Repressionsorgane der Türkei kenntnisreich analysiert.
Das erste Kapitel, das einen kurzen historischen Exkurs auf den Staatsterror in der Türkei seit Beginn der 20er Jahre gibt, hat der Autor als Überblickskapitel konzipiert. Fußnoten und eine genauere Beweisführung fehlen hier überwiegend. Doch das ändert sich in den übrigen Kapiteln vollständig. Hier befleißigt sich Celik einer geradezu akribischen Beweisführung. Namenslisten Gefolterter, Verschwundener und Ermordeter werden aufgeführt, staatliche Übergriffe auch in kleinsten Dörfern aufgelistet. Eigene Kapitel widmen sich den ermordeten Journalisten, Ärzten sowie den Kindern, die Opfer von Minen wurden. Eine Zeittafel gibt einen chronologischen Überblick über die Jahre des größten Terrors Anfang der 90er Jahre. Ein eigenes Kapitel widmet der Autor der Repression gegen Frauen aus dem Widerstand, die häufig neben der Repression noch sexuelle Belästigungen und Vergewaltigungen über sich ergehen lassen müssen.
Celik zeigt an verschiedenen Beispielen, daß die türkische Regierung immer dann, wenn es internationale Proteste wegen der Menschenrechtsverletzungen gibt, die Guerilla selbst für die Massaker verantwortlich macht. Eine Taktik, die sich bei den jüngsten Massakern an den Gefangenen wiederholte. Auch hier lautete die offizielle Version, die Gefangenen hätten sich selber verbrannt.
Sehr gut zeigt Celik die Strukturen des türkischen Aufstandsbekämpfungsapparates auf, die Spezialeinheiten und Spezialteams, die Abschwörer und Dorfschützer, den Gendarmeriegeheimdienst JITEM und die Hisbullah. Diese islamischen Todesschwadronen wurden Mitte der 90er Jahre von der türkischen Regierung gezielt aufgebaut, um prominente kurdische Politiker und Intellektuelle zu ermorden. Der Staat konnte dann immer noch seine Hände in Unschuld waschen und die Propaganda von innerkurdischen Konflikten verbreiten. Für die Unterdrückung der namenlosen widerständischen Bevölkerung allerdings waren die staatlichen Organe selber zuständig. Schließlich mußten dabei in der Regel keine Proteste aus dem Ausland befürchtet werden.
Ein eigenes Kapitel widmet Celik der faschistischen MHP, die er als paramilitärische Konterguerilla-Organisation qualifiziert: »Hinter dieser zivilen faschistischen Bewegung steckt direkt der Staat.« Schon in den 70er Jahren betätigte sich die MHP als Todesschwadron, war an zahlreichen Morden an Gewerkschaftlern, Studentenvertretern und linke Politikern beteiligt. Von Anfang an stand die MHP in enger Verbindung mit dem US-amerikanischen Geheimdienst CIA und anderen NATO-Organen. Nirgends wird die Rolle der Faschisten als konterrevolutionärer Stoßtrupp deutlicher als in der Türkei. Das hat sich bis heute nicht geändert. Obwohl die MHP heute Teil der Regierung ist, übten sich ihre Anhänger während des Hungerstreiks in Mordhetze gegen alle demokratischen Organisationen.
Celik versäumt auch nicht, auf den internationalen Kontext hinzuweisen, in dem die türkischen Repressionsorgane gedeihen konnten. »Die drei Militärputsche in der Türkei wurden entsprechend der Spezialkriegsdoktrin der USA durchgeführt.« Wie türkische Zeitungen enthüllten, waren die USA auch über den jüngsten Sturm auf die Gefängnisse im voraus informiert und sicherten ihre diplomatischen Vertretungen. Zudem haben auch die übrigen NATO-Staaten und dabei in erster Linie die BRD ein starkes Eigeninteresse bei der Zerschlagung linker Organisationen aus der Türkei.
Ein Manko des Buches ist, daß es sich ausschließlich auf die Verfolgung der kurdischen Nationalbewegung beschränkt. Dabei gerät leicht aus dem Blickfeld, daß der türkische Staat jede Opposition blutig unterdrückt. Allerdings ist dieser kurdische Blickwinkel verständlich, gehörte der Autor doch zu den bekannten Persönlichkeiten der PKK. Deswegen wurde er nicht nur in der Türkei verfolgt, sondern saß von 1988 bis 1990 in der BRD in Isolationshaft. Heute gehört er zu den profiliertesten Kritikern der aktuellen PKK-Linie, die von dem inhaftierten Vorsitzenden Abdullah Öcalan vorgegeben wird.
Celik befürchtet, daß mit ihr die PKK als revolutionäre Organisation verschwinden könnte. Dieser Dissens zur gegenwärtigen Parteilinie hatte auch eklatante Auswirkungen auf den Vertrieb des Buches. Der Verlag wollte das Werk eines Dissidenten plötzlich nicht mehr verkaufen. Celik mußte die Auflage deshalb zurückkaufen und hat sich mittlerweile eigene Vertriebsmöglichkeiten geschaffen. So konnte gerade noch verhindert werden, daß ein Buch vom Markt verschwindet, das wohl einmalig in deutscher Sprache solides Hintergrundwissen zu den türkischen Repressionsorganen und ihren Verflechtungen gibt.
Peter Nowak |