junge Welt17.03.2001 Das Schweigen brechen Aktionen zum Tag der politischen Gefangenen. Hungerstreik in Türkei dauert an _________________________________________________________________
»Troja - Traum und Wirklichkeit« - unter diesem Motto eröffnen der türkische Staatspräsident Sezer und der türkische Außenminister Cem am heutigen Sonnabend im Gebäude der Landesbank Baden-Württemberg in Stuttgart eine Ausstellung. Zeitgleich wollen an diesem Tag unter dem Motto »Solidarität mit den kämpfenden Gefangenen in der Türkei/Nordkurdistan« Solidaritätsgruppen gegen den Besuch vom Bosporus demonstrieren und an die Menschen erinnern, für die die Türkei heute ein täglicher Alptraum ist: die politischen Gefangenen. »Ich selbst mußte erleben, daß die F-Typ- Gefängnisse Folterzentren sind. Den Inhaftierten dort werden sofort gewaltsam und unter Folter die Haare abrasiert. Wir wurden auch gezwungen, uns bis auf die Unterwäsche auszuziehen. Obwohl ich mich seit 81 Tagen im Todesfasten befinde und weil wir den Zählappell verweigern, werden wir weiterhin gefoltert.«
Was Nabi Kimran am 28. Februar 2001 vor dem Istanbuler Staatssicherheitsgericht erklärte, ist seit Ende Dezember Alltag vieler Gefangener in der Türkei. Das Militär kontrolliert die Gefängnisse vollständig und versucht, die Gefangenen mit allen Mitteln zu unterwerfen. Dazu gehört auch die Praxis der Vergewaltigung mit Holzstöcken. Die Tageszeitung Özgür Politika berichtete über einen Angehörigenbesuch bei dem 23jährigen Hüseyin Tiryaki, den das Militär zu Spitzeldiensten zwingen wollte, was er ablehnte. Daraufhin wurde er vergewaltigt.
Im Februar haben sich drei Gefangene aus Protest gegen diese Haftbedingungen selbst verbrannt. Weiterhin befinden sich fast 500 Gefangene im Todesfasten, manche schon mehr als 150 Tage. Sobald sie bewußtlos sind, werden sie zwangsernährt. Mehrere Gefangene haben infolge des Hungerstreiks mittlerweile ihr Gedächtnis verloren. Sie können sich nicht mehr erinnern, warum sie im Gefängnis sind. Türkische Menschenrechtsaktivisten befürchten, daß viele Gefangene irreparable Gesundheitsschäden davontragen, selbst wenn das Todesfasten jetzt beendet würde. Doch dafür spricht momentan überhaupt nichts. Erst kürzlich wurde ein erneuter Vermittlungsversuch türkischer Intellektueller von der Regierung brüsk zurückgewiesen. Kein Zweifel, nach dem Sturm auf die Gefängnisse im vergangenen Dezember gibt sich die Staatsmacht gestärkt. Ermutigt fühlt sich die Regierung in Ankara auch vom Verhalten der NATO und der EU-Staaten. Kein offenes Wort der Kritik kam einem der Politiker über die Lippen.
Das Desinteresse hierzulande an den Geschehnissen in der Türkei bekamen kürzlich auch die Mitglieder einer türkischen Menschenrechtsinitiative in Berlin zu spüren. Trotz mehrmaliger Anrufe beim Menschenrechtsausschuß des Bundestages erhielten sie keinen Besuchtstermin, wie sie in einem jW-Gespräch berichteten. Der Mitarbeiter eines im Ausschuß vertretenen SPD-Abgeordneten rief immerhin zurück, doch nur, um sich zu erkundigen, welcher Organisation die Menschenrechtler angehören. Danach meldete er sich nicht mehr. In der Türkei lebenden Angehörigen von politischen Gefangenen wurden vom deutschen Generalkonsulat die Einreisevisa verweigert, so daß sie nicht auf Veranstaltungen über die Situation berichten konnten. Doch in vielen Städten der BRD wird aus Anlaß des »Tages für die politischen Gefangenen« am 18. März dazu aufgerufen, zu Solidaritätsaktionen insbesondere mit den Gefangenen in der Türkei zu kommen. Dabei wird auch an in Deutschland inhaftierte türkische Linke erinnert. So soll am Samstag mit einer Kundgebung vor der Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel gegen die drohende Abschiebung von Ihsan Ersoy demonstriert werden. Obwohl Ersoy in der Türkei als DHKP-C-Aktivist weitere Verfolgung droht, wurde sein Asylantrag abgelehnt.
Peter Nowak |